Es wird wieder Fußball gespielt in Ägypten. Bereits vor einer Woche ließ der ägyptische Fußballverband (EFA) den Supercup zwischen dem populären Kairoer Rekordmeister Al-Ahly und ENPPI anpfeifen, trotz massiver Proteste insbesondere der Ultras von Al-Ahly, die gedroht hatten das Supercup-Spiel in Alexandria aktiv verhindern zu wollen. Der Ligabetrieb war nach dem blutigen Desaster in Port Said am 1. Februar 2012 eingestellt worden. Damals starben 74 Menschen als Anhänger von Al-Masry das Spielfeld stürmten und die Sicherheitskräfte zunächst nicht eingriffen. Gestern trafen im Cairo International Stadium Al-Ahly und sein Lokalrivale Zamalek im letzten Gruppenspiel der CAF-Champions League aufeinander und trennte sich in einem mäßigen Match 1-1. Zamalek schied als Gruppenletzter mit nur zwei Zählern aus, Al-Ahly hingegen ist ob der Niederlage von TP Mazembe aus der DR Kongo Gruppensieger und kann damit einem vermeintlich einfacheren Halbfinale entgegensehen. Am 6. Oktober trifft der Club auf Sunshine Stars aus Nigeria, im zweiten Halbfinale spielt Mazembe gegen den Topfavoriten Espérance aus Tunis.
Das gestrige Spiel wurde vor leeren Rängen ausgetragen. Die Ausschreitungen in Port Said Anfang des Jahres und die aktive Rolle der Ultra-Verbände während der Revolution 2011 waren wohl der wichtigste Grund für die Entscheidung der EFA kein Publikum zuzulassen. Das Desaster in Port Said steht in direktem Zusammenhang mit der Rolle der Al-Ahly Ultras während der Revolution. Diese waren bei den Anti-Regime-Protesten ganz vorne mit dabei und halfen einerseits das brutale Vorgehen von Mubaraks Sicherheitskräften gegen unbewaffnete Demonstranten abzuwehren und waren andererseits wichtig für den Organisationsgrad der Protestbewegung. Ihre „Kompetenzen“ im Steine werfen und Autos anzünden waren zudem sehr nützlich beim Bau von Barrikaden rund um den Tahrir im Frührjahr 2011. Die tageszeitung zitiert in einem Artikel sehr passend den US-Journalisten James Dorsey: „Dass organisierte Fußballfans bei Antiregierungsprotesten in Ägypten dabei sind, ist der schlimmste Albtraum jeder arabischen Regierung.“ Aufgrund des Mobilisierungspotentials bei Fußballspielen wurde nicht umsonst der Ligabetrieb in zahlreichen arabischen Staaten wie Algerien nach Ausbruch des Arabischen Frühlings ausgesetzt.
Zudem haftet dem Derby zwischen Al-Ahly und Zamalek spätestens seit der Revolution eine politische Dimension an. Al-Ahly gilt als Club des Volkes und wurde bereits im Rahmen seiner Gründung 1907 als Symbol gegen die britische Kolonialherrschaft verstanden. Der Club hat seine Basis überwiegend in armen Schichten der ägyptischen Gesellschaft, ganz im Gegensatz zu Zamalek, der als bürgerlich und eher regimenah gilt. Zwar beteiligten sich auch Ultra-Gruppen von Zamalek aktiv an Protesten gegen das alte Regime, dennoch unterstützten Clubführung und Fans den Anpfiff der neuen Saison, im Gegensatz zum Stadtrivalen.
Trotz massiver Proteste der Ultra-Gruppen von Al-Ahly soll der Ligabetrieb am 17. Oktober wieder angepfiffen werden. Ursprünglich sollte der Ligabetrieb bereits am 17. September starten. Die Ultra-Gruppen fordern den Spielbetrieb erst anzupfeifen, wenn die Ereignisse von Port Said aufgeklärt und die Verantwortlichen für das katastrophale Fehlverhalten der Sicherheitskräfte verurteilt sind.
Die „Embassy-Riots“ der letzten Woche, wie das deutsche Nachrichtenmagazin DER SPIEGEL die Ausschreitungen vor US-Botschaften und anderen Vertretungen westlicher Staaten in der arabischen Welt getauft hat, dürften ein weiterer Faktor gewesen sein nicht auf die Forderungen Al-Ahlys einzugehen doch Publikum für das Spiel zuzulassen bzw. den Ligastart weiter auszusetzen. Die Straßenschlachten in Kairo begannen letzten Dienstag, blieben zwei Tage relativ friedlich, bis der Zorn über die Veröffentlichung des in den USA produzierten Films „The Innocence of Muslims“ umschlug in gewaltsame Jugendproteste. Die Lage auf dem Arbeitsmarkt ist katastrophal und die Machtübernahme Mohamed Mursis hat bisher wenig verändert. Das neue Staatsoberhaupt war zunächst damit beschäftigt die Militärs machtpolitisch in die Schranken zu weisen. Der Einbruch des Tourismussektors nach der Revolution hat der ägyptischen Wirtschaft einen schweren Schlag versetzt. Die Mobilisierung der perspektivlosen Jugend vergangene Woche verwundert daher wenig.
Die dem Innenministerium unterstellten paramilitärischen Central Cecurity Forces (CSF) hatten am Samstagmorgen die Ausschreitungen im zentralen Kairoer Stadtteil Garden City rigoros beendet, nachdem sich Jugendliche und die Sicherheitskräfte zwei Tage lang teils heftige Straßenschlachten geliefert hatten. Nach anfänglich mangelnder Mobilisierung von Polizei und CSF vor der US-Vertretung zog das Innenministerium am Donnerstag schließlich ein massives Aufgebot in Garden City, Downtown und dem Tahrir Square zusammen, auch ob der scharfen Kritik von US-Präsident Barack Obama an den mangelnden Sicherheitsvorkehrungen der Regierung in Kairo.
Die inzwischen massiv aufgestockten CSF-Verbände in Garden City und am Tahrir verblieben gestern auf ihren Positionen angesichts des Spiels zwischen Al-Ahly und Zamalek sowie den Studentenprotesten vor der American University in Cairo, deren alter Campus direkt am Tahrir Square liegt. Das Kairoer Derby zählt zu den wichtigsten aber auch unruhigsten weltweit und wurde in der Vergangenheit regelmäßig von Ausschreitungen überschattet. Gestern jedoch blieb es ruhig.
© Sofian Philip Naceur 2012