Seit der Revolution fordern die Studenten der Privatuniversitäten in Ägypten zunehmend mehr Transparenz und Mitbestimmung, bislang mit eher mäßigem Erfolg. Im Zentrum der Aufmerksamkeit steht derzeit die German University in Cairo (GUC), eine 2001 gegründete und 2003 in der gut betuchten Satellitenstadt New Cairo eröffnete Kaderschmiede mit naturwissenschaftlichem Fokus. Die revolutionären Parolen Freiheit, soziale Gerechtigkeit und Mitbestimmung haben schnell nach Zusammenbruch des alten Regimes auch die GUC erreicht, doch alle Versuche eine unabhängige Studentenvertretung zu etablieren wurde bisher von der Universitätsleitung mit teils haarsträubende Mitteln torpediert. Am 22. und 23. September findet an der GUC endlich das lang herbeigesehnte Referendum über eine von Studenten entworfene Satzung statt, die die Mitbestimmung der Studenten und das Recht auf eine unabhängige Gewerkschaft verbindlich festhalten soll.
Die Annahme der Satzung wäre ein Novum für Ägyptens Privatuniversitäten. Doch der Weg bis zu diesem Referendum war lang und steinig. Die Universitätsleitung um den Gründer und Vorsitzenden des Board of Trustees Ashraf Mansour hat seit den ersten zaghaften Protesten auf dem Campus im Frühjahr 2011 alles Erdenkliche getan, um eine unabhängige studentische Interessenvertretung zu verhindern. Zwar wurde im Frühjahr 2011 die Gründung eine Students Union (SU) von der Unileitung zugelassen, nach Angaben von Studenten allerdings eher als zahnloser Tiger denn als wirklich Interessenvertretung. Im Tagesspiegel betont Professor Dr. Hans Wolff, Mitglied des Board of Trustees und ehemaliger Rektor der Universität Ulm, die GUC sei politisch neutral und wolle keine Politik auf dem Campus, der Staat würde sich sonst einmischen.
Und dabei haben Studenten ausreichend Gründe, um mehr Mitsprache und Einblicke in Interna zu fordern. Die Studiengebühren liegen schließlich bei stolzen 5000 bis 7500 Euro pro Jahr. Scharf kritisiert wird die Unileitung von Studenten, Mitarbeitern und Presse für schlechte Arbeitsbedingungen von Studenten und Mitarbeitern, Gängelung von politisch aktiven Studenten und finanzieller Intransparenz. Finanzberichte werden nicht veröffentlicht. Sicher, die GUC ist eine private Institution und gesetzlich nicht zur Offenlegung ihrer Bilanzen verpflichtet. Dennoch wirft das Verhalten der Unileitung die Frage auf, warum eine derart intransparente autoritär geführte Bildungseinrichtung mit 3,5 Millionen Euro aus deutschen Steuergeldern gefördert wird, wenn Studenten selbst ein Mindestmaß an demokratischer Mitsprache verwehrt wird.
Auf erste Proteste gegen die Weigerung der Unileitung eine SU zuzulassen reagierte die GUC-Führung 2011 zunächst mit zeitlich begrenzten Suspendierungen von Studenten und Mitarbeitern. Als sich abzeichnete, dass die Aktivisten nicht klein bei geben würden, erlaubte die Administration zähneknirschend die Zulassung einer Studentenvertretung, allerdings unter strenger Aufsicht und mit einer Art Maulkorb. Die GUC behielt sich fast unbeschränkte Sanktionsmöglichkeiten bei Zuwiderhandlungen gegen die von der Universität erlassene Satzung vor. Zudem sollten sich die SU auf das Organisieren von Ausflügen und Kulturangebote beschränken. Ende 2011 ließ die Leitung die SU, die eher einem Feigenblatt als einer Gewerkschaft glich, auflösen und setzte Neuwahlen an. Aus Protest boykottierten die Studenten die Wahl.
Nachdem der GUC-Student Kareem Khozam bei dem Massaker im Stadion von Port Said bei einem Spiel zwischen Ägyptens Rekordmeister Al Ahly und Al-Masry ums Leben kam, entwickelte sich die Trauerfeier auf dem Campus am 12. Februar 2012 schnell zu einem Protest gegen den herrschenden Surpreme Council of the Armed Forces und die Universitätsleitung. Wie Beobachter berichteten, versammelten sich nach den zaghaften Protesten im Sommer 2011 diesmal hunderte auf dem Campus. Seit der erneuten Mobilisierung gegen den intransparenten und autoritären Politikstil an der GUC bemühen sich verschiedene studentische Netzwerke, wie die GUC Leftists, um die Durchsetzung einer von der Studentenschaft entworfenen Satzung. Ein Aktivist betont, es mache einfach keinen Sinn ohne rechtliche Basis weiter mit dieser Administration zu verhandeln. Sie würden keine Absprachen oder Gesetze beachten, sondern schlicht ihre eigenen machen.
Die Aktivisten befürchten weiterhin seitens der Universitätsleitung aktiv in ihren Bemühungen eine neue Satzung durchzusetzen und eine unabhängige SU zu etablieren torpediert zu werden. Die Vorgehensweise der Universitätsleitung unterstreicht diese Befürchtungen. Inzwischen wurden nicht nur am Eingangsportal, sondern auch in zahlreichen Gebäuden auf dem Campus Überwachungskameras angebracht, offiziell aus Sicherheitsgründen versteht sich. Die Tatsache, dass die GUC im Frühjahr 2011 das Militär anrücken ließ, um eine Protestveranstaltung auflösen zu lassen, zeigt, dass die GUC-Leitung vor nichts zurückschreckt, um Mitbestimmung und finanzielle Transparenz zu verhindern. Prof. Dr. Wolff, bestätigte im Deutschlandfunk den Militäreinsatz auf dem Campus, fügte aber hinzu, dies sei ja immerhin nur einmal vorgekommen.
Bei einem Treffen in Kairo mit Annette Groth und Christine Buchholz von der Fraktion DIE LINKE im Bundestag äußern sich Aktivisten der GUC hoffnungsvoll, dass das Referendum am 22. und 23. September erfolgreich verlaufen wird. Dennoch befürchten sie weitere Manöver der Unileitung. Einen wichtigen Hebel sehen sie in den deutschen Partnerorganisationen. Neben der Förderung durch das Auswärtige Amt und das Bundesministerium für Bildung und Forschung ist die GUC eng mit den Universitäten Ulm und Stuttgart verbunden und wird vom Deutschen Akademischen Austauschdienst und dem Wissenschaftsministeriums in Baden-Württemberg unterstützt. Im Aufsichtsrat der GUC sitzt zudem der deutsche Botschafter in Kairo. Anfragen bei den genannten Institutionen die studentischen Bemühungen eine unabhängige SU zu etablieren zu unterstützen liefen jedoch nach Angaben der Aktivisten bisher ins Leere.
Neben der Arabisch-deutschen Industrie- und Handelskammer sind deutsche Unternehmen mit der GUC assoziiert und betreiben auf dem Campus einen Industriepark. Angesichts der technischen Ausrichtung bietet es sich für deutsche Firmen an, an der GUC nach Nachwuchskräften Ausschau zu halten. Nach dem Green-Card Desaster loten deutsche Firmen neue Strategien zum Anwerben von Fachkräften aus. Die GUC wirkt in diesem Kontext ob der unpolitischen und rein naturwissenschaftlichen Orientierung als klassische Kaderschmiede für die deutsche Industrie, deren Ziel weniger demokratische Bildungsstrukturen zu sein scheinen als vielmehr das Anwerben von Nachwuchsfachkräften im Ausland. Die Verbindungen der GUC zum alten Regime verdeutlichen diese pragmatische Ausrichtung. Suzanna Mubarak, Ehefrau des gestürzten Präsidenten, war federführend bei der Etablierung der Uni und das universitätseigene Sicherheitspersonal ist mit ehemaligen Mitgliedern der Präsidentengarde bestückt. Zudem sitzen mit Machmoud Hamdi Zaqzouq und Ibrahim el-Dimeery zwei Ex-Minister und mit Amin Mubarak ein Cousin Mubaraks im Kuratorium.
Die Aktivisten an der GUC hoffen in den kommenden zwei Tagen auf eine rege Beteiligung der Studenten bei dem Referendum und natürlich, dass ihr Entwurf angenommen wird. Um der Universitätsleitung keine Vorlage zu liefern die eventuelle Annahme des Entwurfes zu verweigern, ließen sich die Aktivisten beim Entwerfen der Satzung von NGO’s und Anwälten beraten. Der Wahlgang am Wochenende soll zudem von NGO’s überwacht werden, um einen reibungslosen und fairen Ablauf des Urnengangs zu gewährleisten. Die Ergebnisse der Abstimmung werden für den 24. September erwartet. Die Aktivisten wollen sich zukünftig zudem nicht nur um die eigenen studentischen Belange kümmern, sondern auch die Beschäftigungspolitik der Universität im Auge behalten. Faire Arbeitsbedingungen an der GUC zählen zu ihren Hauptanliegen.
Aber nicht nur an der GUC wird derzeit protestiert. Auch die Studenten der American University in Cairo und der Nile University demonstrieren gegen strittige Entscheidungen ihrer jeweiligen Unileitungen, in beiden Fällen griffen staatliche Sicherheitskräfte ein, um die Sit-Ins und Proteste aufzulösen. Zudem wird Ägypten derzeit von einer regerechten Streikwelle überzogen. Neben Arbeitskämpfen im Transport- und Textilsektor droht die Lehrergewerkschaft mit Arbeitsniederlegung, sollte die Regierung die Forderung der Aktivisten weiter ignorieren. Sie fordern bessere Arbeitsbedingungen und höhere Löhne und campieren seit zwei Wochen vor dem Parlament. Als die Central Security Forces (CSF) die Proteste vor der US-Botschaft in Garden City vor einer Woche gewaltsam auflösten, räumte man auch gleich das Protestcamp der Lehrer, konnte aber nicht verhindern, dass sich die Gewerkschaftler bereits am folgenden Tag wieder versammelten.
Arbeitskämpfe in Ägypten werden 18 Monate nach der Revolution mutig geführt. Die Wegbereiter dieser Entwicklung, die TextilarbeiterInnen aus Mahalla al-Kubra, die seit 2006 regelmäßig Streiks organisierten, haben der unabhängigen Gewerkschaftsbewegung in Ägypten Rückenwind verschafft. Es bleibt zu hoffen, dass sich Studenten, Arbeiter und Angestellte von den Gefahren des Einsatzes staatlicher Sicherheitskräfte gegen Streiks und Demonstrationen nicht einschüchtern lassen. Auch wenn die Regierung Hisham Qandil behauptet man sei nicht mit Gewalt gegen Streiks und Demonstrationen vorgegangen, zeichnen Aktivisten und Presse ein anderes Bild. Der Einsatz von Polizei und CSF gegen die Studentenproteste an der AUC und der Nile University sowie die Lehrer- und Arbeiterstreiks bestätigen Befürchtungen, dass es unter einer von den Muslimbrüders kontrollierten Exekutive um gewerkschaftliche Freiheiten und Mitbestimmung von Studenten oder ArbeitnehmerInnen im postrevolutionären Ägypten nicht gut bestellt ist.
© Sofian Philip Naceur 2012