Ägypten sieht durch das Mega-Projekt seine Wasserversorgung bedroht. Ägyptens Präsident Mursi drohte mit „Blut“. Schon 2011 begann in Äthiopien am Oberlauf des Nils der Bau am Großen Äthiopischen Renaissance Damm, einem Mega-Staudamm, der den chronischen Energiemangel des Landes beenden und die Basis für dessen wirtschaftlichen Aufstieg einläuten soll. 2014 will Äthiopien beginnen den Stausee zu füllen und zwei Turbinen zur Stromproduktion in Betrieb nehmen. Die Fertigstellung des Staudamms und der Wasserkraftwerke, die mit einer Leistung von 5250 MW die derzeit in Äthiopien installierte Kraftwerksleistung von nur 2000 MW mehr als verdreifachen sollen, ist für 2017 geplant. Ägypten opponiert gegen das Projekt und fürchten um seine Wasserversorgung. Das Land ist hochgradig abhängig vom Nil und bezieht 95 Prozent seines gesamten Wasserbedarfs aus dem Fluss (erschienen in Junge Welt am 19.6.2013).
Ägyptens Regierung unter Präsident Mohamed Mursi versucht aus dem Staudamm politisches Kapital zu schlagen und heizt seit Wochen eine nationalistische Debatte an, bezeichnet den Staudamm als Bedrohung der nationalen Sicherheit und ruft zur nationalen Einheit auf. Die Regierung trommelte Anfang Juni die Opposition zu einem Treffen zusammen, das zum medialen Super-Gau wurde. Man hatte schlicht vergessen die Teilnehmer zu informieren, dass die Debatte live im Staatsfernsehen übertragen wurde. Entsprechend offen waren die Wortmeldungen. Der liberale Oppositionspolitiker Ayman Nour schlug vor Gerüchte zu streuen Ägypten verfüge über neuartige Kampfflugzeuge und plane den Damm zu bombardieren. Younis Makhyoun von der salafistischen Partei „Das Licht“ sagte Ägypten solle äthiopische Rebellen unterstützen, um Äthiopiens Regierung unter Druck zu setzen. „Wenn unser Anteil am Nil-Wasser sinkt, ist unser Blut die Alternative“, sagte Mursi wenige Tage später und schob hinterher, man respektiere Äthiopiens Bevölkerung und werde keinerlei aggressive Maßnahmen gegen das Land unternehmen. Der populäre Linkspolitiker Hamdeen Sabahi rief Ägyptens Bevölkerung auf in dieser Frage die Regierung zu unterstützen. Mursi und die regierenden Muslimbrüder versuchen das Staudammprojekt zu instrumentalisieren und damit von innenpolitischen Themen abzulenken. Für den 30. Juni, den Jahrestag von Mursis Amtsantritt, haben zahlreiche Oppositionsparteien und Jugendgruppen zu einer Großdemonstration gegen die Politik Mursis und der Muslimbrüder aufgerufen. Diese versuchen offenbar mit dem Aufruf zur nationalen Einheit die Opposition auf Linie zu trimmen und den Protesten das Wasser abzugraben.
Unterdessen riefen Vereinte Nationen, Afrikanische Union und EU beide Staaten eindringlich dazu auf den Dialog wieder aufzunehmen. Nach dem grotesken zweiwöchigen Säbelrasseln reiste am Sonntag Ägyptens Außenminister Mohamed Kamel Amr nach Äthiopien. In Kairo hieß es die Gespräche hätten im „Geist der Kooperation“ stattgefunden. Äthiopiens Außenminister Tedros Adhanom betonte jedoch der Bau des Dammes werde nicht eingestellt. Die Visite Kamel Amrs in Addis Abeba ist Teil einer neuen Verhandlungsrunde beider Staaten, um eine Lösung des Konfliktes zu erreichen. Ägypten beharrt jedoch auf seinem „historischen“ Anrecht auf den Nil. Kurz nach Ende der britischen Kolonialherrschaft über Ägypten hatten London und Kairo ein Abkommen unterzeichnet, das Ägypten die Kontrolle über den Nil und ein Veto-Recht in allen Belangen zusprach. 1959 signierten Ägypten und Sudan einen Vertrag zur gemeinsamen Nutzung des Nil-Wassers, jedoch ohne Beteiligung der anderen Nil-Anrainer. Diese drängen schon lange die Nutzung des Nils in Wasser- und Energiefragen auf eine neue vertragliche Grundlage zu stellen, unter Beteiligung aller Nil-Anrainer.
Äthiopien hält derweil am Staudammprojekt fest und betont man verfolge lediglich das Ziel Strom zu erzeugen und keineswegs Ägyptens Wasserversorgung zu beeinträchtigen. Ägypten könne vielmehr von dem Projekt profitieren, da Äthiopien plane Energie zu exportieren, auch Ägypten habe schließlich mit Engpässen in der Stromversorgung zu kämpfen. Der Schlüssel für eine Verhandlungslösung im Konflikt zwischen Kairo und Addis Abeba ist die Zeitspanne, in der der Stausee gefüllt werden soll. Ein Ingenieur in Kairo, der anonym bleiben will, betont, die von Äthiopien geplante Füllung des Stausees in drei Jahren würde Ägyptens Wasser- und Stromversorgung akut gefährden und negative ökologische Auswirkungen auf den Assuan-Stausee in Süd-Ägypten haben. Eine Füllungsperiode von mindestens zehn Jahren könnte jedoch die negativen Folgen des Projektes kontrollierbar machen. Kaum Informationen kursieren zudem über soziale Folgen des Projektes. Bei anderen Staudammprojekten am Nil kam es zu teils heftigen Protesten der lokalen Bevölkerung, da Tausende Menschen zwangsumgesiedelt werden mussten. Äthiopiens hat in großem Stile Land verpachtet und steht bereits wegen massiver Menschenrechtsvergehen im Zuge der Umsiedlungen am Pranger.
© Sofian Philip Naceur 2013