In Ägypten überschlagen sich die Ereignisse. Nach der Absetzung von Präsident Mohamed Mursi ließ die Armee nur einen Tag später Adly Mansour, den Vorsitzenden des Obersten Verfassungsgerichtes, als Übergangspräsidenten vereidigen. Diese begann zügig mit der Neubesetzung von Schlüsselposten im Staatsapparat. Doch gestaltet sich die Bildung einer neuen Regierung schwieriger als zunächst angenommen. Kurzweilig berichtete Ägyptens Staatspresse Mohamed El-Baradei, früherer Chef der Internationalen Atomenergiebehörde und führender Kopf des liberalen Lagers der Opposition, sei als neuer Premierminister vereidigt worden. Mansours Pressesprecher dementierte die Meldung kurz darauf und bestätigte lediglich, dass auch mit El-Baradei Gespräche geführt werden (erschienen in Junge Welt am 8.7.2013).
Das Militär als mächtigste politische Instanz in Land versucht derzeit eine neue Regierung zu bilden und verhandelt offenbar auch mit der salafistischen Partei „Das Licht“, die im Parlament Mursi und dem politischen Arm der Muslimbrüder, der Partei für Freiheit und Gerechtigkeit (FJP), noch als Mehrheitsbeschaffer diente, sich angesichts der Massenproteste vergangene Woche jedoch neutral verhielt und nun auf mehr politischen Einfluss hofft. Erst vergangene Woche hatte die Armee Mursi abgesetzt und die im Herbst von der FJP durchgepeitschte neue Verfassung außer Kraft gesetzt.
Während die Mursi-Gegner auf Ägyptens Straßen weiterhin feiern, mobilisieren seit Freitag verstärkt die Anhänger des gestürzten Staatschefs zu Gegenprotesten, um für die Legitimität des gewählten Präsidenten zu demonstrieren. Während die Proteste beider Lager am Tag der Absetzung Mursis ruhig verliefen, kam es Freitag und Samstag im ganzen Land zu teils heftigen Zusammenstößen, vor allem in Kairo und Alexandria. Landesweit gab es 37 Tote, allein in Kairo starben 15 Menschen. An der Universität von Kairo gab es heftige Ausschreitungen zwischen Sicherheitskräften und Anhängern Mursis, die Armee riegelte das betroffene Stadtviertel ab. Trotz der Präsenz zehntausender Gegner des gestürzten Präsidenten am Tahrir-Platz im Stadtzentrum zogen tausende Mursi-Anhänger über eine Nil-Brücke zum nahe gelegenen Hauptsitz des staatlichen Rundfunks. Beide Lager lieferten sich stundenlange Straßenschlachten, bis die Armee intervenierte und die Parteien voneinander trennte.
Die Armee gebärdet sich einmal mehr als Retter in der Not, doch hatte sie selbst Öl ins Feuer gegossen und die Eskalation der Gewalt provoziert. Nach Mursis Absetzung schlossen die Generäle einen TV-Kanal der Muslimbrüder, ließen das Personal abführen und verhafteten Führungskader von Bruderschaft und FJP, wie den FJP-Vorsitzenden Saad Katatni. Nachdem die Armee in Ost-Kairo bei den Protesten der Anhänger des geschassten Präsidenten scharfe Munition einsetzte, gingen diese erst recht auf die Barrikaden. Am Sonntag setzen sich die Proteste beider Lager fort.
In Luxor im Süden Ägyptens entlud sich der Zorn der Islamisten an der christlichen Minderheit. Mindestens 23 Häuser von koptischen Christen wurden niedergebrannt. Derweil eskaliert die Gewalt auch auf der Sinai-Halbinsel. Am Sonntag wurde die Pipeline, die ägyptisches Erdgas nach Jordanien transportiert, von Unbekannten in die Luft gesprengt. Nach amtlichen Angaben starb zudem mindestens ein Soldat bei einem Anschlag auf einen Checkpoint im Nord-Sinai. Der Sinai gilt als instabil und Hochburg militanter Islamisten.
© Sofian Philip Naceur 2013