Bild des gestürzten Mohamed Mursi in Nasr City |
Die ägyptische Regierung und die Militärführung um Verteidigungsminister und Generalstabschef Abdel Fattah El-Sisi verschärfen erneut ihren Tonfall gegenüber der Muslimbruderschaft. Anhänger der Bruderschaft und des gestürzten Ex-Präsidenten Mohamed Mursi demonstrieren seit Wochen für die Widereinsetzung Mursis und haben in Kairo und Giza zwei Protestcamps errichtet. Am Sonntag sickerten Informationen aus Armeekreisen an die Öffentlichkeit, die besagen, dass die Regierung innerhalb der nächsten 48 Stunden mit der Räumung der Camps beginnen will. Die martialische Rhetorik beider Seiten hat die Fronten verhärtet und zum Scheitern internationaler Vermittlungsbemühungen geführt. Europäische Union und US-Regierung hatten Vermittler nach Kairo entsandt, um die Krise auf diplomatischem Wege zu lösen. Beide Seiten erklärten die Verhandlungen jedoch für gescheitert. Dennoch legt die Übergangsregierung unter Premierminister Hazem El-Beblawi eine andere Gangart an den Tag und verkündete eine gewaltsame Erstürmung der Protestcamps könne „Tausende Tote“ zur Folge haben. Offenbar plant die Regierung eine weiche Lösung, um sich der unliebsamen islamistischen Opposition auf den Straßen zu entledigen. Zunächst sollen die Strom- und Wasserzufuhr zu den Camps unterbrochen werden, bevor Sicherheitskräfte den Zugang zu den Lagern absperren wollen. Polizei und Militär sollen niemanden mehr in die Camps lassen, versprachen jedoch Personen, die die Camps verlassen wollen, unbehelligt abziehen zu lassen. Der Einsatz von Tränengas und Wasserwerfern soll die Auflösung der Lager einleiten (erschienen in Junge Welt am 13.8.2013).
Denkmäler für getötete Protestler in Nasr City |
An der Rabaa Al-Adawija Moschee in Nasr City im Osten Kairos harren nach wie vor zehntausende Menschen aus und feierten am Wochenende das Ende des Fastenmonats Ramadan. Am Nahda-Platz nahe der Universität von Kairo in Giza, dem kleineren der beiden Lager, campieren mehrere tausend Menschen und geben sich kämpferisch. „Wir haben keine Angst zu sterben, wir werden bleiben“, sagt Saad Mohamed, Student an der Helwan Universität. „Mursi ist nicht das Hauptproblem, es ist die Demokratie, für das wir hier sind und kämpfen. Die einzige Möglichkeit Mursi loszuwerden ist eine demokratische Wahl und kein Militärputsch“ sagt die 43jährige Shereen El Many an der Rabaa Al-Adawija.
Vorbereitungen auf die Erstürmung des Camps laufen |
„Wir haben keine Waffen. Der Koran ist unsere einzige Waffe“ sagt ein Mann an der Rednerbühne vor der Moschee Rabaa Al-Adawija und bezieht sich auf die Vorwürfe von Regierung und ägyptischer Presse die Sit-Ins der Muslimbrüder seien gewaltbereit. Bei Zusammenstößen zwischen Sicherheitskräften und Mursis Anhängern sind landesweit seit Anfang Juli mindestens 250 Menschen getötet worden. Während die Regierung die Muslimbrüder für die Gewalt verantwortlich macht, da die Demonstranten in den Camps bewaffnet seien, beschuldigen Mursis Anhänger die Polizei mit Waffengewalt gegen die Protestlager vorgegangen zu sein. Die Wahrheit dürfte irgendwo dazwischen liegen.
Plakate vor der Rabaa Al-Adawija Moschee, Nasr City |
Während Mursis Anhänger noch Anfang Juli randalierend und teils bewaffnet durch die Straßen Kairos zogen und Polizei und Militär Zusammenstöße mit ihnen provozierten, demonstrieren beide Seiten derzeit ihre friedlichen Absichten. Die Demonstranten führen Journalisten herum und betonen die Gewaltlosigkeit ihrer Proteste. Am Wochenende fanden in beiden Camps dutzende Hochzeiten statt, Kinderspielplätze wurden aufgebaut und Protestler richteten ein Fußballspiel auf dem Nahda-Platz aus. Die Regierung scheint dennoch verstanden zu haben, dass die Demonstranten keineswegs vor haben sich dem staatlichen Druck zu beugen, so unrealistisch ihre Forderung nach Mursis Widereinsetzung als Präsident auch sein mag. Eine weitere gewaltsame Eskalation oder ein erneutes Massaker wird weder der Armeeführung noch der Übergangsregierung nützen, sondern vielmehr der Bruderschaft in die Hände spielen, die sich damit weiterhin als Opfer einer gewaltsamen Machtübernahme der Armee bestätigt sehen kann. Dennoch ist in den nächsten Tagen mit weiteren Zusammenstößen zu rechnen, sobald die Regierung Ernst macht und mit der geplanten Einkesselung beginnt.
© Sofian Philip Naceur 2013