Algeriens Staatspräsident Abdelaziz Bouteflika, in seiner dritten Amtszeit als Marionette der Militärs verschrien, hat sich mit einem Paukenschlag wieder Oberwasser verschafft. Nachdem der gesundheitlich angeschlagene 76 jährige Chef der mächtigsten Partei des Landes, der Nationalen Befreiungsfront (FLN), noch im Frühjahr nach einem Schlaganfall fast vier Monate im Krankenhaus verbrachte, peitschte er eine Abstimmung im Zentralkomitee der FLN zur Wahl eines neuen Generalsekretärs durch. Nach Rücktritt seines parteiinternem Rivalen Abdelaziz Belkhadem, Ex-Premier und Vertreter des islamistischen Flügels der Partei, war das Amt seit Januar vakant. Zur Wahl trat einzig Bouteflikas Vertrauter Amar Saïdani an, der nach der Abstimmung betonte „die Partei vereinen“ zu wollen. Mit Saïdanis Einsetzung hat Bouteflika die absolute Kontrolle über die FLN zurückerobert und dem konservativen Parteiflügel einen herben Schlag versetzt. Zwei Wochen später ließ Bouteflika 18 von 32 Ministern im Kabinett Premierminister Abdelmalek Sellals auswechseln. Bei der Kabinettsumbildung verloren sechs FLN-Minister, die gegen Saïdanis Wahl opponierten, ihre Posten und wurden durch Vertraute des Präsidenten ersetzt (Junge Welt am 11.10.2013).
Strategisch wichtig sind vor allem die Neubesetzungen im Innen- und Justizministerium. Sowohl der neue Justizminister Tayeb Louh als auch Innenminister Tayeb Belaiz stammen wie der Präsident selbst aus dem westalgerischen Tlemcen, der Bouteflika-Clan in Algeriens Machtapparat hat sich damit wieder politischen Spielraum verschafft. Beide Ministerien sind Schlüsselinstitutionen für Abhaltung und Kontrolle von Wahlen.
Neben der Kabinettsumbildung sorgte aber ein anderes Manöver des „Raïs“ für Wirbel. Während Bouteflika weiter das Verteidigungsresort leitet, setzte er mit Armeechef Ahmed Gaïd Salah einen Vertrauten als Vize-Verteidigungsminister ein und unterstellte drei Schlüsseleinheiten des mächtigen algerischen Geheimdienstes DRS direkt seinem Kommando. Dieser Schritt wird gemeinhin als Versuch Bouteflikas gewertet den Einfluss von DRS-Chef Mohamed „Tewfik“ Mediénes und des DRS einzuschränken, der sich seit seiner Gründung 1990 zu einem Staat im Staate entwickelt hat. Vor allem die von Tewfik kontrollierte Juristische Polizei war unter ihm ein Instrument, um Gegner im Staats- und Regierungsapparat unter Druck zu setzen. Tewfik, der die dritte 2009 begonnene Amtszeit Bouteflikas strikt ablehnte, setzte die Juristische Polizei auf seinen Clan an und sorgte 2010 auf Grundlage von Korruptionsanklagen für den Rücktritt zweier Bouteflika-Getreuer in der Regierung. Dass der DRS Korruptionsvorwürfen konsequent nachgeht entbehrt nicht einer gewissen Ironie, schließlich förderte der DRS die weit verbreitete Korruption gezielt als Mittel zur politischen Kontrolle.
Der Machtkampf zwischen Tewfik und Bouteflika, den beiden starken Gegnern in Algeriens komplexem fragmentiertem Machtgefüge, ist Ausdruck der Rivalität zwischen dem Militärapparat und der FLN. Dennoch war Bouteflika seit seinem Amtsantritt 1999 der Konsenskandidat, der es vermochte eine Brücke zwischen dem unangefochtenen Kontrollanspruch der Armee und dem Regierungswillen der FLN zu schlagen und so die Machtbalance zwischen beiden Blöcken zu sichern.
Im April 2014 wird in Algerien ein neues Staatsoberhaupt gewählt und angesichts der Machtbefugnisse des Amtes ist diese Position innerhalb des Regimes stets heiß umkämpft. Trotz seines schlechten Gesundheitszustandes wird nicht ausgeschlossen, dass Bouteflika erneut antritt. Sein Clan jedenfalls hat eine Kandidatur des „Raïs“ noch nicht verworfen. „Er will ein viertes Mandat. Bouteflika ist besessen davon an der Macht zu sterben“, meint Saïd Sadi, Ex-Chef des RCD, der liberalen Sammlung für Kultur und Demokratie. Andere bezweifeln, dass Bouteflikas Gesundheit eine Kandidatur für die Wahl im April zulässt. Dennoch wird das Votum seines Clans wegweisend sein. Egal, ob er oder Sellal antreten wird, der FLN wird sich nach dem vom Präsidenten gewonnen parteiinternen Machtkampf seinem Diktat beugen. Die Zeitung ElWatan betont Bouteflika habe „einen Apparat in Stellung gebracht, der ihm die volle Kontrolle über die Wahl erlaube“
Hintergrund:
Die 1954 als Untergrundorganisation gegründet FLN (Nationale Befreiungsfront) regiert in Algerien fast ununterbrochen seit der Unabhängigkeit 1962. Die bis heute bestehende Machtteilung zwischen FLN und Armee hat ihre Wurzeln in der Entkolonialisierung. Während die Guerillazellen des FLN seit 1957 im Land faktisch aufgerieben waren, baute Houari Boumediénne schon während des Krieges in den Flüchtlingslagern in Tunesien und Marokko eine schlagkräftige Armee auf. 1962 verbündete er sich mit der Tlemcen-Gruppe innerhalb des FLN-Politbüros unter Ahmed Ben Bella. Gemeinsam schalteten Boumediénne und Ben Bella ihre parteiinternen Rivalen aus und übernahmen mit der Grenzarmee im Rücken die Macht. 1965 putschte Boumediénne und errichtete ein autokratisches Regime islamistischer Prägung. Nach seinem Tod 1978 war Außenminister Abdelaziz Bouteflika Favorit für die Nachfolge, wurde aber vom Militär ausgebootet, das mit Chadli Bendjedid einen Offizier im Präsidentenpalast installierte. Boutefliks flog aus der FLN, floh ins Exil und kehrte erst nach dem demokratischen Frühling 1988 zurück, der durch den Wahlsieg der Radikalislamisten 1991 und dem Militärputsch 1992 sein jähes Ende fand (Junge Welt vom 11.10.2013).
© Sofian Philip Naceur 2013