Am Mittwoch fand erstmals wieder eine größere Demonstration des säkularen anti-militaristischen Lagers in Ägyptens Hauptstadt Kairo statt. Rund 2000 Demonstranten versammelten sich am Gebäude des Staatsrundfunks, genannt Maspero, und gedachten mit einer Mahnwache den Opfern des Maspero-Massakers vom 9. Oktober 2011. Damals protestierten vornehmlich koptische Christen gegen sektiererische Gewalt in Ägypten. Seit der Revolution 2011 hatten gewaltsame Auseinandersetzungen zwischen Christen und Muslimen massiv zugenommen. Während der Kundgebung starben 28 Menschen, als Fahrzeuge der Sicherheitskräfte vorsätzlich in die Menge rasten. Mindestens neun Menschen wurden erschossen. In Deutschland wurde Maspero im Kontext deutscher Rüstungsexporte in Krisenregionen und nach Ägypten thematisiert. Der Transportpanzer „Fahd“, mit denen die Armee 2011 in die Menge raste, ist ein unter Lizenz von Henschel Wehrtechnik, eine Tochterfirma des Rüstungskonzerns Rheinmetall, in Ägypten hergestelltes Fahrzeug.
Zuletzt kam es in Ägypten fast ausschließlich zu Demonstrationen der Muslimbrüder, die gegen die Absetzung Präsident Mohamed Mursis durch die Armee am 3. Juli protestierten, oder militärfreundlichen Kundgebungen. Das säkulare Lager, das sich sowohl gegen die Politik der Muslimbrüder als auch gegen die Militärherrschaft positionierte, wagte sich in den letzten Wochen kaum auf die Straße und war zunehmend isoliert. Aufgerufen zu der Mahnwache vom Mittwoch hatten christliche Gruppen, die Bewegung des 6. April, dessen zwei Flügel erstmals wieder gemeinsam demonstrierten, sowie die Revolutionären Sozialisten. Die koptische Kirche blieb anders als noch bei der Mahnwache 2012 den Protesten fern.
„Endlich trauen sich Menschen wieder öffentlich gegen die Armee und die Muslimbrüder Stellung zu beziehen“, sagte ein Demonstrant vor dem Rundfunkgebäude. „Wir sind weder von der Bruderschaft, noch wollen wir Mursi zurück, aber die Armee darf nicht regieren“, skandierte die Menge. Vereinzelt wurde die „Exekution“ von Verteidigungsminister Abdelfattah El-Sisi gefordert. Nach zwei Stunden löste sich die Demonstration auf, um Zusammenstöße mit der Polizei zu vermeiden. Einige Hundert zogen daraufhin zum Tahrir-Platz, wurden aber von der Armee, die den symbolträchtigen Platz besetzt hält, um öffentlichkeitswirksame Proteste auf dem Platz zu verhindern, am Betreten des Platzes gehindert.
Haitham Mohamedain, Anwalt für Arbeitsrecht und Aktivist der Revolutionären Sozialisten, betonte man werde definitiv nicht mehr gemeinsam mit den Muslimbrüdern demonstrieren, vor allem nicht angesichts des anstehenden Jahrestages der Revolution im Januar 2014. Die Bruderschaft habe durch ihre Weigerung gegen die Militärherrschaft des Obersten Militärrates 2011 auf die Straße zu gehen und ihre katastrophale Politik unter Mursi bewiesen, dass sie sich nicht den Zielen der Revolution „Brot, Freiheit, soziale Gerechtigkeit“ verbunden fühle. Die Revolutionären Sozialisten, zahlreiche linke, gewerkschaftsnahe und liberale Organisationen und unabhängige Aktivisten hatten im September die Front des revolutionären Weges gegründet, einen Zusammenschluss politischer Gruppen, die sich gegen die wiederkehrende Herrschaft der Armee als auch gegen die Muslimbrüder positionieren. Erste zaghafte Proteste dieser Art nach Stürmung der Protestlager der Muslimbrüder Mitte August waren verbal scharf angegriffen worden und hatten wenig Zulauf.
Zwar war das Maspero-Massaker 2011 nur eines von zahlreichen Ereignissen dieser Art während der Regentschaft des Obersten Militärrates, dennoch wird dem Massaker eine besondere Bedeutung beigemessen. Viele beschreiben das Massaker als Wendepunkt der postrevolutionären Zeit nach dem Sturz Hosni Mubaraks, da es die Brutalität des immer noch herrschenden Sicherheitsapparats unmissverständlich zum Ausdruck brachte. Das Massaker unterschied sich von zahlreichen anderen Protesten, bei denen es zu Ausschreitungen zwischen Sicherheitskräften und Demonstranten kam und letzte durchaus auf Zusammenstöße vorbereitet bei den Protesten erschienen. Der Maspero-Protest 2011 zielte nicht auf das Militär oder den Staat, sondern widmete sich schlicht den Feinseligkeiten zwischen Christen und Muslimen am Nil. Bei keiner Demonstration, die gewaltsam endete, ging die Gewalt so eindeutig vom Staat aus wie bei Maspero.
© Sofian Philip Naceur 2013