Ägyptens Interimspräsident Adli Mansour unterzeichnete am Sonntag das umstrittene neue Demonstrationsgesetz und bestätigt damit Befürchtungen politischer Aktivisten, die seit Wochen vor einer Einschränkung des Versammlungsrechts warnen. Menschenrechtsgruppen wie Human Rights Watch verurteilten das Gesetz scharf, es sei eine Blankovollmacht für die Regierung, um unliebsame Demonstrationen effektiv zu unterbinden. Das im Justizministerium entworfene neue Regelwerk wurde bereits Mitte Oktober von der Regierung durch gewunken und an Präsident Mansour übergeben, dem die finale Revision des Gesetzes oblag. Während die Übergangsregierung unter Premierminister Hazem El-Beblawi einen Zusammenhang zwischen dem Ende des Ausnahmezustandes und damit der staatlichen Sonderbefugnisse im Umgang mit Protesten und Versammlungsfreiheit sowie der Verabschiedung des Protestgesetzes vehement abstritt, forderten politische Kräfte am Nil die Verschiebung der Gesetzesnovelle bis ein neues Parlament gewählt ist (erschienen in Junge Welt vom 26.11.2013).
Artikel 6 des Textes verbietet auf Demonstrationen und Kundgebungen das Tragen von Waffen und Feuerwerkskörpern und stellt das Verhüllen des Gesichtes mit „Masken“ unter Strafe. Human Rights Watch fürchtet der Artikel könnte auch so ausgelegt werden, dass verschleierte Frauen auf Demonstrationen pauschal kriminalisiert werden. Die am heftigsten kritisierten Passagen sind Artikel 7 und die Bestimmungen zum Verhalten der Sicherheitskräfte bei Zuwiderhandlungen. Artikel 7 verbietet Demonstrationen, wenn sie die „allgemeine Sicherheit, die öffentliche Ordnung oder die Produktion“ behindern oder verletzen. Vor allem die vage Definition des Begriffs Einschränkung der „Produktion“ könnte von der Regierung als Mittel missbraucht werden, um Streiks und Arbeitskämpfe zu kriminalisieren und unter Strafe zu stellen.
Artikel 11 bis 13, die einen gesetzlichen Rahmen für die Befugnisse von Sicherheitskräften bei Protesten und Verstößen gegen das Gesetz implementieren soll, lesen sich jedoch weniger wie eine rechtliche Klärung staatlicher Befugnisse im Umgang mit Demonstrationen, sondern vielmehr wie eine detaillierte Vorlage für Sicherheitskräfte rechtlich legitimiert Demonstrationen gewaltsam aufzulösen. Das Gesetz erlaubt Sicherheitskräften explizit den Einsatz von Wasserwerfern, Schlagstöcken und Tränengas, sollten sich Demonstrationsteilnehmer nicht an verbale Warnungen der Sicherheitskräfte halten. Bei Gewaltausübung gegen den Sicherheitsapparat sollen Beamte zunächst Warnschüsse in die Luft abgeben, bevor das Gesetz den Einsatz von Gummigeschossen und als letzte Stufe sogar scharfer Munition explizit erlaubt.
Das Gesetz sieht vor, dass Demonstrationen und Kundgebungen mindestens sieben Tage im Voraus bei der zuständigen Polizeibehörde angemeldet werden müssen. El-Beblawi betonte die Bestimmung bedeute nicht Organisatoren müssten in Zukunft bei staatlichen Stellen um Erlaubnis fragen, Proteste sollen lediglich angemeldet werden. Dennoch gibt das Gesetz dem Innenministerium oder der zuständigen Polizeibehörde das Recht Demonstrationen zu verbieten, sollten sie über Informationen verfügen, die nahe legen, dass die Proteste Gesetze brechen könnten. Auch verbietet das Gesetz Demonstrationen, Sit-Ins und Kundgebungen in unmittelbarer Nähe zu Regierungsgebäuden, Ministerien, Gerichten, Einrichtungen von Militär und Polizei, öffentlichen Krankenhäusern und Bildungsinstitutionen. Ein Mindestabstand von 300 Metern zu den „lebensnotwendigen Institutionen“ müsse eingehalten werden. Verstöße gegen die Bestimmung können mit bis zu einem Jahr Gefängnis oder Strafzahlungen von 10000 Euro geahndet werden. Zuwiderhandlungen gegen Artikel 7 sollen mit zwei bis fünf Jahren Gefängnis oder Bußgeldern von 5000 bis 10000 Euro bestraft werden.
Das Demonstrationsgesetz wird von Dutzenden politischen Gruppen und Parteien scharf angegriffen und als Instrument zur faktischen Institutionalisierung des Ausnahmezustandes bezeichnet. Flankiert werden dürfte das Gesetz in Kürze mit einem neuen Anti-Terror-Gesetz, dass derzeit von der Regierung entworfen wird.
© Sofian Philip Naceur 2013