Das neue Verbandsgesetz in Algerien sorgt auch rund zwei Jahre nach seiner Verabschiedung für Zündstoff. Zahlreiche Menschenrechtsgruppen lehnen das Gesetz ab und fordern die Regierung auf das Gesetz vor Ablauf der Übergangsfrist am 14. Januar 2014 zu widerrufen. Das im Januar 2012 in Kraft getretene Gesetz ließ Nicht-Regierungs-Organisationen (NGO) zwei Jahre Zeit ihre Statuten entsprechend der Vorgaben des Regelwerkes anzupassen und sich bei den Behörden neu registrieren zu lassen. Youcef Benbrahim, Vize-Präsident der Menschenrechtsorganisation Amnesty International in Algerien, sieht in der Regelung den Versuch des Regimes NGO’s zur Selbstzensur anzuhalten. Das Gesetz verstoße gegen den 1989 von Algerien ratifizierten Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte der Vereinten Nationen (erschienen in Junge Welt am 11.1.2014).
Insbesondere die verpflichtende Neuregistrierung von zivilgesellschaftlichen Organisationen gibt Algeriens Behörden ein Mittel zur Hand die Zivilgesellschaft unter Druck zu setzen. Das Gesetz erlaubt algerischen Behörden Organisationen die Registrierung zu verwehren, wenn diese gegen die „öffentliche Ordnung“ oder die „Moral“ verstoßen, sich in „interne Angelegenheiten des Landes“ einmischen oder die „nationale Souveränität“ angreifen. Amnesty bezeichnet den Text in einer Stellungsnahme als „willkürliche Einschränkung und effektive Kriminalisierung des Rechts auf Vereinigungsfreiheit“ und warnt vor „irreparablem Schaden für Algeriens Zivilgesellschaft“. Organisationen, die die staatliche Registrierung nicht bestehen, werden von Algeriens Behörden als illegal eingestuft. Ihnen und ihren Mitgliedern droht Strafverfolgung.
Mitglieder von nicht registrierten Organisationen können zu bis zu sechs Monaten Gefängnis und heftigen Geldstrafen von bis zu 4000 Euro verurteilt werden, heißt es in dem Gesetz. Trotz der Übergangsfrist hat Algeriens Exekutive bereits begonnen Mitglieder von Menschenrechtsgruppen auf Grundlage des Gesetzes zu verhaften und vor Gericht zu stellen.
Betroffen vom neuen Gesetz ist auch die SPD-nahe Friedrich-Ebert-Stiftung (FES). Ihre Registrierung als „nationale Organisation“ wurde von algerischen Behörden abgelehnt. Die Stiftung stellte Ende 2013 ihre Aktivitäten ein und schloss vorläufig ihr Büro in Algier. Doch die FES ist optimistisch in Zukunft weiter in Algerien tätig sein zu können. In Gesprächen mit algerischen Behörden brachten diese zum Ausdruck, dass es auf algerischer Seite großes Interesse am Verbleiben der FES im Land gibt. Die Stiftung geht davon aus, dass Algier die notwendigen rechtlichen Voraussetzungen schaffen wird, damit die FES ihre Arbeit in Algerien wieder aufnehmen kann. Auch Amnesty wartet noch auf offizielle Antwort.
Unterdessen setzen sich die heftigen Flügelkämpfe in der größte nationalen Menschenrechtsorganisation Algeriens, der Algerischen Liga zur Verteidigung der Menschenrechte (LADDH), unvermindert fort. Der Organisation droht die Spaltung. Ihrem 2012 gewählten Vorsitzenden Noureddine Benissad wird Missmanagement und Intransparenz vorgeworfen. „Das Problem ist nicht seine Legitimität als gewählter Vorsitzender, sondern seine nicht eingehaltenen Versprechen bezüglich finanzieller Transparenz. Das Gros unserer Finanzmittel kommt aus dem Ausland, aber wir wissen nicht woher, Benissad weigert sich aufzuklären“, sagt Salah Debouz, Chef der LADDH-Sektion in Algier. Debouz glaubt Benissad, Ex-Mitglied der linken Berberpartei Front der Sozialistischen Kräfte (FFS), versuche die LADDH an das Regime heranzuführen.
Die FFS, mit der Benissad nach wir vor enge Kontakte pflegt, war nach 20 Jahren Opposition und Wahlboykott bei den Parlamentswahlen 2012 angetreten und ins Parlament eingezogen. Die konkurrierende liberale Berberpartei Sammlung für Kultur und Demokratie RCD hingegen boykottierte die Wahl, nachdem sie jahrelang das Feigenblatt für die politische Integration der Berber-Minderheit in Algeriens politisches System war. Wahlen gelten in Algerien als massiv gefälscht, ihre Ergebnisse und damit die Zuteilung von politischer Macht und staatlicher Mittel im Vorfeld abgesprochen. Vieles deutet darauf hin, dass die RCD zugunsten der FFS als Vertreter der Berber-Minderheit vom Regime kooptiert wurde.
© Sofian Philip Naceur 2014