Der überraschende Rücktritt von Ägyptens Übergangsregierung von Regierungschef Hazem El Beblawi wirft nach wie vor Fragen auf. Konkrete Gründe für den geschlossenen Rücktritt des Kabinetts am Montag nannte El Beblawi nicht. Zahlreiche politische Kräfte am Nil vermuten jedoch die Amtsniederlegung der Regierung hänge mit den Ambitionen von Armeechef und Ex-Verteidigungsminister Abdelfattah El Sisi bei den im April anstehenden Präsidentschaftswahlen antreten zu wollen zusammen. Für eine Kandidatur muss El Sisi seine Militäruniform ausziehen. Kabinettsumbildung und ein Rücktritt El Sisis vom Amt der Verteidigungsministers waren seit Wochen erwartet worden. Die offizielle Ankündigung seiner Kandidatur wird in Kürze erwartet (erschienen in Junge Welt am 26.2.2014).
Der Vorsitzende von El Beblawis Sozialdemokratischer Partei Mohamed Abou Ghar sagte der Zeitung Mada Masr der Rücktritt der Regierung hänge sicher mit den Vorbereitungen von Sisis Präsidentschaftskandidatur zusammen, könnte jedoch auch eine Reaktion auf die anhaltende Streikwelle im Land sein. Seit rund zwei Wochen erlebt Ägypten eine Vielzahl an Arbeitsausständen und die Regierung zeigte sich bisher unfähig die Lage in den Griff zu bekommen. Neben zehntausenden Angestellten der Textilindustrie streiken seit knapp einer Woche die Busfahrer des staatlichen Nahverkehrs sowie Ärzteverbände und Postangestellte. Mit der Erhöhung der Gehälter für Polizeibeamte hatte die Regierung erst vergangene Woche versucht die Proteste von Polizisten einzudämmen. In Oppositionskreisen heißt es auch an der Regierung beteiligte Parteien seien mit den wirtschaftlichen Problemen am Nil schlicht überfordert und wollen sich aus der Schusslinie bringen, um ihre Chancen bei der im Sommer anstehenden Parlamentswahl nicht schon im Vorfeld zu vermindern.
Unterdessen wurde der Abgang der Übergangsregierung von vielen politischen Kräften in Ägypten begrüßt. Die liberale Bewegung des 6. April nannte den Rückgang der Regierung El Beblawi „überfällig“, das Kabinett habe weder sicherheitspolitische und wirtschaftliche noch soziale Probleme des Landes lösen können. „Die Regierung hat versagt. Jede liberale Regierung, die die Forderungen der Revolution und der derzeit im Land streikenden Arbeitnehmer ignoriert, ist zum Scheitern verurteilt“, meint Mamdouh Habashi, Mitbegründer der Ägyptischen Sozialistischen Partei. Auch die Tamarud-Bewegung (Arabisch für Rebellion) beurteilte den Abgang des Kabinetts mit Wohlwollen und rief den am Montag zurückgetretenen Wohnungsbauminister Ibrahim Mahlab auf die Führung einer neuen Übergangsregierung zu übernehmen. Übergangspräsident Adli Mansour beauftragte Mahlab am Dienstag offiziell mit der Bildung einer neuen Regierung. Die Personalie sorgte jedoch zügig für heftige Kritik. Mahlab war Mitglied der 2011 aufgelösten Nationaldemokratischen Partei des 2011 gestürzten Präsidenten Ägyptens Husni Mubarak und saß im Oberhaus des Parlamentes.
Favorit auf das einflussreiche Amt des Verteidigungsministers ist Generalstabschef Sedki Sobhi, während der seit Januar 2013 amtierende umstrittene Innenminister Mohamed Ibrahim möglicherweise auf den Posten zurückkehren könnte. Ibrahim war eine Schlüsselfigur beim Sturz von Staatspräsident Mohamed Mursi 2013 und gilt als treibende Kraft hinter der Restaurierung des alten Polizei- und Militärstaates Husni Mubaraks. Die staatliche Tageszeitung Al Ahram verweist auf anonyme Regierungsquellen, die sich skeptisch darüber äußern den Posten des Innenministers in solch turbulenten Zeiten neu zu vergeben. Ibrahim selber kündigte an bis zur Einsetzung einer neuen Regierung geschäftsführend im Amt bleiben zu wollen. Derweil bringt sich die salafistische Das Licht von Younis Makhyoun für eine Regierungsbeteiligung in Stellung. Seine Partei war die einzige islamistische Kraft, die Mursis Sturz 2013 ausdrücklich begrüßt hatte und seither versucht aus dem Niedergang von Mursis Muslimbruderschaft politisches Kapital zu schlagen. Die radikalislamistische Partei fungierte unter Mursi als Mehrheitsbeschaffer des islamistischen Lagers, hatte jedoch nach Mursis Sturz die Seiten gewechselt und unterstützt seither militärnahe politische Kräfte und die Interimsregierung.
© Sofian Philip Naceur 2014