Ägypten hat einen neuen Staatspräsidenten gewählt. Zwar wird das offizielle Ergebnis erst in einigen Tagen erwartet, doch stand der Sieger des umstrittenen Wahlgangs faktisch bereits im Vorfeld fest. Abdel Fattah El Sisi, Ex-Verteidigungsminister und federführend bei der Absetzung des islamistischen Präsidenten Ägyptens Mohamed Mursi im Juli 2013, dürfte die Abstimmung mit Abstand für sich entschieden haben. Sein einziger Gegenkandidat, der Linkspolitiker Hamdeen Sabahi, war chancenlos und dürfte weniger als zehn Prozent der Stimmen erlangt haben. Die Leitung von Sabahis Wahlkampagne berichtete schon am Montag von zahlreichen Verstößen gegen das Wahlgesetz. Armee und Polizei, die mit einem massiven Aufgebot den Urnengang absichern sollten, hätten in mehreren Wahllokalen Vertretern der Sabahi-Kampagne und seinen Anhängern, die abstimmen wollten, den Zutritt verwehrt. In einigen Wahllokalen seien gar Mitglieder der Sabahi-Kampage verhaftet worden. Am Mittwoch zog Sabahis Kampagnenleitung daher alle eigenen Beobachter aus den Wahllokalen ab (erschienen in Junge Welt am 30.5.2014).
Die Wahl verlief derweil auffallend ruhig. Zwar hatten die islamistischen Muslimbrüder vor der Abstimmung zu Demonstrationen gegen den in ihren Augen illegitimen Urnengang aufgerufen, doch blieben die Proteste klein und weitgehend ruhig. Am ersten Tag der Abstimmung explodierte in der südlich von Kairo gelegenen Oasenstadt Fayoum, einer Hochburg der Bruderschaft, eine Bombe vor einem Wahllokal. Verletze gab es keine. Auch bei einem Bombenanschlag am Dienstag in Heliopolis im Osten Kairos, wurde niemand verletzt.
Rund 54 Millionen Wahlberechtigte waren an die Urnen gerufen, doch blieb die Wahlbeteiligung gering. Die Interimsregierung hatte vor Beginn der Abstimmung ebenso wie Ägyptens Staatsrundfunk und das Gros der Privatpresse sowie El Sisis und Sabahis Unterstützer massiv für eine hohe Wahlbeteiligung geworben, doch blieben Viele den Urnen fern. Zahlreiche Wähler blieben aus Frust über die unabwendbare Installation eines schon feststehenden Wahlsieger des Regime-Lagers lieber zu Hause. Für viele Andere war El Sisi Wählen vor allem ein Ruf nach politischer und wirtschaftlicher Stabilität. Ob El Sisi diese als Vertreter der restaurierten alten vom Militär dominierten politischen Ordnung liefern kann, ist unwahrscheinlich. Den wirtschaftlichen, sozialen, politischen und demographischen Herausforderungen, vor dem das Land am Nil steht, wird El Sisi mit Marktliberalisierung, starkem politischen Führerkult und Militarismus keineswegs gewachsen sein.
Auch darum ließ Ägyptens Regime nichts unversucht die Wahlberechtigten zur Stimmabgabe zu bewegen, ist die Wahlbeteiligung doch am Ende der wichtigste Gradmesser für die Legitimität des neuen Präsidenten. Nach teils gut besuchten Wahllokalen am Montag morgen sank die Beteiligung im Laufe des Tages stark ab. Das Wahlkomitee verlängerte daher am Dienstag die Öffnungszeiten für Wahllokale und weitete schließlich den Urnengang um einen dritten Tag aus, eine mehr als umstrittene Entscheidung. Die Regierung ging sogar soweit mit Verweis auf das Wahlgesetz eine 50 Euro Strafe für jede Person anzukündigen, die nicht gewählt habe. Ersten Angaben zufolge lag die Wahlbeteiligung bei 30 bis 44 Prozent. Bei der Präsidentschaftswahl 2012 lag sie bei 46 in der ersten Runde und 51 Prozent in der Stichwahl, die Mursi damals knapp gewann.
Sabahis Kandidatur hatte immerhin Teile der linksliberalen Opposition vereint, doch machte sich diese keine Illusionen über den Wahlausgang. Der Sprecher der linksliberalen Verfassungspartei Khaled Daoud betonte es sei derzeit enorm wichtig öffentlich zu zeigen, dass mit Sabahi eine von zahlreichen politischen Kräften unterstützte Alternative zu armeenahen Kandidaten bereitstehe, auch wenn die jüngste Wahl ein im Vorfeld entschiedenes Rennen gewesen sei. Die gerichtlich verbotene Bewegung des 6. April rief derweil weiterhin zum Boykott auf, die Wahl verstoße gegen Artikel 97 der im Januar verabschiedeten neuen Verfassung, der die Immunisierung administrativer Entscheidungen verbietet. Interimspräsident Adli Mansour hatte jedoch Entscheidungen des Wahlkomitees, das die Wahl durchführt und deren Ergebnisse bekanntgibt, für immun erklärt. Die Präsidentschaftswahlen seien damit verfassungswidrig, heißt es aus den Reihen des 6. April.
© Sofian Philip Naceur 2014