Ein Gespräch mit Khaled Dawoud, Sprecher der linksliberalen Verfassungspartei (Hizb Al-Dostour), über die Hintergründe der Hungerstreikkampagne in Ägypten, das Protestgesetz und die Rückkehr altbekannter staatlicher Repression.
Warum hat sich die Verfassungspartei der Hungerstreikkampagne angeschlossen?
Derzeit sitzen elf Mitglieder unserer Partei wegen Verstößen gegen das Protestgesetz hinter Gittern. Alle elf sollen auf Grundlage des Protestgesetzes belangt werden. Vor diesem Hintergrund haben wir entschieden uns der Kampagne anzuschließen und mit symbolischen Hungerstreiks Solidarität mit den Inhaftierten zu zeigen und damit gegen das Gesetz zu protestieren. Insgesamt haben sich acht Parteien der Kampagne angeschlossen. Insgesamt befinden sich 150 Personen innerhalb und außerhalb der Gefängnisse im Streik. Aus unserer Partei haben sich 25 Menschen dem Streik angeschlossen. Letztlich geht es uns aber nicht nur um unsere Parteimitglieder. Das Gesetz ist gefährlich, gibt es dem Innenministerium doch ein Instrument zur Hand willkürlich Menschen zu verhaften und unerwünschte Proteste zu verbieten (erschienen in Junge Welt am 16.9.2014).
Warum ist das Gesetz ihrer Meinung nach zu restriktiv?
Wenn das Innenministerium eine Demonstration verbieten will, dann sollten die Verantwortlichen zu einem Richter gehen und diesem Beweise dafür vorlegen müssen, dass die Demonstration gegen Gesetze verstößt. Doch das Protestgesetz in Ägypten erlaubt es Behörden Demonstrationen aufgrund von Vermutungen zu verbieten und die Teilnehmer zu kriminalisieren. Wir haben 30000 bis 40000 politische Gefangene. Warum macht der Staat immer weiter und verhaftet immer mehr Menschen? Die Kapazitäten sind erschöpft, die Gefängnisse überfüllt. Ägypten bewegt sich zurück zu den alten Zeiten unter dem 2011 gestürzten Präsident Hosni Mubarak, als nur kleinere Demonstrationen auf den Stufen des Journalistensyndikats in Kairo toleriert waren. Alle anderen Proteste wurden konsequent unterbunden. Viele Menschen sagten damals: halt dich fern von Politik, sonst landest du im Knast. Und genau dorthin bewegen wir uns derzeit. Die Menschen haben wieder Angst ihre Meinung zu sagen.
Warum ein Hungerstreik als politische Protestform?
Seit das Demonstrationsgesetz im November 2013 verabschiedet wurde sind viele Menschen auf Grundlage des Regelwerkes inhaftiert worden. Dabei haben sie nur ihr Recht in Anspruch genommen friedlich zu demonstrieren. Seit Dezember fordern wir eine Revision des Gesetzes, da es dem Innenministerium erlaubt Demonstrationen nach Gutdünken zu verbieten. Unser Ersuchen, auch auf offiziellem Wege, wurde immer wieder ignoriert. Noch während der Präsidentschaftswahl im Mai 2014 haben wir gehofft der neu gewählte Staatspräsident würde die Inhaftieren frei lassen, zumindest bis zu ihren Prozessen. Aber auch unter Präsident Abdel Fattah Al-Sisi wurden seit Juni 2014 immer wieder Menschen wegen Verstößen gegen das Gesetz inhaftiert. Die Menschen sind hilflos, ein Hungerstreik ist daher derzeit das letzte Mittel des Protests.
Was sind die Folgen des Gesetzes für den Einzelnen?
Die inhaftierten Menschen bleiben langfristig im Gefängnis. Oft bleiben diese Personen unter fragwürdigen Umständen inhaftiert, da sie trotz laufender Ermittlungen nicht auf Kaution freigelassen werden. Sie warten im Gefängnis darauf, dass sich ein Gericht ihrer Fälle annimmt und das kann ob der überlasteten Gerichte lange dauern. Dabei sollten Untersuchungshaft und Sicherheitsverwahrung eigentlich nur im Falle schwerer Verbrechen legal sein. Die Untersuchungshaft wird in der Regel auf richterliche Anordnung verlängert, das Prozedere ist völlig willkürlich und der Staat behandelt diese Menschen wie Schwerverbrecher, dabei haben sie lediglich friedlich demonstriert.
Der Nationale Menschenrechtsrat kündigte eine Revision des Gesetzes an.
Der Rat kündigte zwar an Druck zu machen, doch solche Ankündigungen haben wir schon oft gehört. Doch die Gremien, die Präsident Al-Sisi nach seiner Wahl als Beratungskomitees eingesetzt hat, beschäftigen sich nicht mit dem Protestgesetz. Diese Gremien sollen Al-Sisi beim Formulieren von Gesetzen helfen. Da wir kein gewähltes Parlament haben, hat Al-Sisi als Staatsoberhaupt neben exekutiven auch gesetzgeberische Kompetenzen, doch Sisi und sein Komitee sagen wir sollen warten bis das nächste Parlament seine Arbeit aufgenommen hat, doch das kann dauern. Sie vertrösten uns und alles was in unserer Macht liegt ist es uns an die Öffentlichkeit zu wenden und zu hoffen, dass sich der Präsident dem öffentlichen Druck beugt.
© Sofian Philip Naceur 2014