An Ägyptens Hochschulen kehrt keine Ruhe ein. Am Dienstag Morgen erlag ein Student der Universität von Alexandria seinen Verletzungen. Ihm wurde bei gewaltsamen Zusammenstößen zwischen Sicherheitskräften und demonstrierenden Studenten am 14. Oktober mit Schrotmunition ins Gesicht geschossen. Damit ist er das erste Opfer der jüngsten Protest- und Gewaltwelle an Ägyptens Universitäten, die seit Semesterbeginn am 11. Oktober anhält. Während Offizielle der Universität von Alexandria und die Polizei Studenten für den Tod des jungen Mannes verantwortlich machen, werfen Studentenverbände Sicherheitskräften vor scharfe Munition eingesetzt und den Tod des Studenten verursacht zu haben. Die Unruhen in Alexandria vom 14. Oktober waren landesweit die heftigsten Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten und der Polizei (erschienen in Junge Welt am 24.10.2014).
Nach Angaben der Menschenrechtsorganisation Amnesty International wurden allein an diesem Tag 150 Studenten verhaftet, mindestens 22 davon befinden sich nach wie vor in Haft. Gegen 16 Studenten wird wegen versuchten Mordes, Teilnahme an einer nicht erlaubten Demonstration und Mitgliedschaft in einer verbotenen Organisation ermittelt. Treibende Kraft hinter den jüngsten Protesten ist die Studentengruppe „Studenten gegen den Putsch“, die den verbotenen und als Terrorvereinigung eingestuften Muslimbrüdern nahe steht. Nach Bekanntwerden des Todes des Studenten rief die Gruppe zu neuen Protesten auf.
Derweil detonierte am Mittwoch vor einem Fakultätsgebäude der Universität von Kairo in Giza eine Bombe. Der Sprengsatz wurde nach Angaben der Staatsanwaltschaft in Süd-Giza per Mobiltelefon ferngezündet und verletzte elf Menschen, darunter sechs Polizisten und fünf Zivilisten. Nach Angaben des Innenministeriums hatten Sicherheitskräfte kurz vor der Explosion zwölf Studenten verhaftet, als diese versuchen den Campus in Giza zu stürmen. Die islamistische auf der Sinai-Halbinsel operierende Terrorgruppe „Soldaten Ägyptens“ bekannte sich am Donnerstag via Twitter zu dem Anschlag. Am Ort der Detonation waren bereits im April drei Bomben explodiert, gelegt wurden diese von derselben Gruppe. Ein Polizist wurde damals getötet.
Die Protestwelle an rund zwei Dutzend Universitäten am Nil begann am zweiten Tag des neuen Semesters, nachdem Sicherheitskräfte am Vortag rund 70 studentische Aktivisten in ihren Wohnungen fest genommen hatten. Zu den Forderungen der Demonstranten gehörte neben der Freilassung der Internierten auch die Rücknahme eines Abkommens zwischen dem Hochschulministeriums und der privaten Sicherheitsfirma Falcon, die seither die Sicherheitskontrollen an den Eingängen von 15 staatlichen Hochschulen abwickelt. Nach Beginn der Unruhen stationierte das Innenministerium Hundertschaften vor den Toren der Al Azhar Universität in Kairo und der Universität von Kairo, während Falcon weiterhin die Sicherheitskontrollen an den Campus-Eingängen durchführt. Seit dem 11. Oktober wurden mindestens 200 Studenten verhaftet.
Unterdessen kündigten „Studenten gegen den Putsch“ einen „Studentenaufstand“ an, sollten die Behörden den Forderungen der Studenten nicht nachkommen. Während die Regierung und die Hochschulleitungen islamistische Gruppen für die Eskalation der Lage verantwortlich machen, schlossen sich Vertreter mehrerer Studentengruppen zu einer Koalition zusammen, die sich für akademische und politische Freiheiten an den Hochschulen einsetzen will. Zu ihren Forderungen gehört die Aufhebung des Verbots politischer Aktivitäten an den Universitäten, ein sofortiger Stopp staatlicher Bespitzelung auf dem Campus und die Rücknahme restriktiver Gesetze, die die Freiheit an den Hochschulen einschränken. Ein Sprecher der Gruppe forderte in der ägyptischen Tageseitung Daily News Egypt die Regierung solle die Gelder lieber für den Ausbau der Infrastruktur an den Hochschulen, wie Bibliotheken und Labore, einsetzen und nicht für die umstrittenen Sicherheitsmaßnahmen. Die Regierung signalisierte derweil Verhandlungsbereitschaft, zumindest partiell.
© Sofian Philip Naceur 2014