Per Dekret erließ Ägyptens Präsident Abdel Fattah Al-Sisi am Montag eine Ausweitung der umstrittene Militärgerichtsbarkeit für Zivilisten und stärkt damit den Einfluss der Armee auf die anhaltende rigorose Kriminalisierung von Demonstranten und Oppositionellen am Nil. Das Dekret besagt, dass nicht nur Angriffe auf die Armee, ihr Personal oder ihre Einrichtungen unter die Zuständigkeit der Militärgerichte fallen, sondern alle Fälle, die „vitale Einrichtungen“ wie Bahnhöfe, Straßen, Brücken oder Gaspipelines betreffen. Auch Studenten und Schüler, die Bildungsinstitutionen „sabotieren“, können zukünftig vor Militärgerichten abgeurteilt werden. Zudem ermächtigt das Dekret das Militär der Polizei beim Schutz der genannten Einrichtungen Amtshilfe zu leisten. Bereits am Dienstag nahm die Armee von den Verfügungen Gebrauch und stürmte den Campus der Universität von Mansoura im Nildelta (erschienen in Junge Welt am 1.11.2014).
Bei landesweiten Protesten an Hochschulen wurden mindestens 43 Studenten verhaftet. Allein an der Al-Azhar-Universität im Osten Kairos waren es 17 Verhaftete. An Ägyptens Universitäten wird seit Beginn des neuen Semesters am 11. Oktober fleißig protestiert. Angeführt werde die Demonstrationen meist von der Muslimbruderschaft nahe stehenden Studentenverbänden, aber auch linksliberale Studentengruppen sind von dem harten Vorgehen des Staates gegen Aktivisten betroffen. Seit Semesterbeginn wurden mindestens 230 Studenten inhaftiert.
Das Dekret ist eine Blankovollmacht jede bei einer Demonstration verhaftete Person nicht mehr nur nach dem drakonischen Protestgesetz aburteilen zu können, sondern diese der vom Militär kontrollierten völlig intransparenten Paralleljustiz zuzuführen. Nach der Anschlagswelle am Freitag, bei der im Norden der Sinai-Halbinsel 30 Soldaten getötet wurden, instrumentalisiert Ägyptens Staatsführung erneut einen Anschlag, um die Versammlungsfreiheit einzuschränken und die Befugnisse der Armee auszuweiten. Derweil hat die Armee im Nord-Sinai begonnen eine 500 Meter breite Pufferzone an der Grenze zum Gaza-Streifen zu evakuieren, um die Tunnelwirtschaft zwischen Gaza und Ägypten zu zerstören und besser gegen die mutmaßlichen Drahtzieher der Anschläge vom Freitag vorgehen zu können, die im Grenzgebiet operieren. Erste Häuser wurden am Mittwoch gesprengt. Rund 10000 Menschen sollen zwangsumgesiedelt werden.
Ebenfalls im Visier der Machthaber am Nil ist Ägyptens Zivilgesellschaft, die angesichts der Verschärfung des Strafgesetzbuches im Sommer sowie der geplanten Revision eines Gesetzes zur Regulierung der Aktivitäten von NGO’s (Nicht-staatliche Organisationen) bereits nervös mit den Hufen schart. Seit Jahren schon basteln verschiedene Regierung an einem neuen NGO-Gesetz und berieten sich dabei auch mehrfach mit Vertretern aus der Zivilgesellschaft selber. Dennoch verfügte die Regierung Mitte des Jahres, dass sich alle relevanten Organisationen bis Oktober nach den Bestimmungen des noch gültigen NGO-Gesetzes von 2002 behördlich neu registrieren lassen müssten. Die Frist wurde mehrfach verschoben und läuft am 10. November ab. Der Wortlaut des derzeit zur Debatte stehenden Gesetzesentwurfes sei noch nicht öffentlich bekannt, so ein Mitarbeiter einer Menschenrechtsorganisation, der anonym blieben will. Man wissen nicht was passieren wird nach Ende der Frist, aber von gar nichts bis hin zu Razzien und Massenverhaftungen sei alles möglich.
Auch sitzt der bekannte Menschenrechtsaktivist Alaa Abdel Fattah seit Montag wieder im Gefängnis. Erst im September war er nach wochenlangen Hungerstreikkampagnen auf Kaution freigelassen worden, nachdem der gegen ihn und 22 Andere laufende Prozess erneut vertagt wurden. Am Sonntag wurde seine Schwester Sanaa Seif wegen der Teilnahme an einer nicht genehmigten Demonstration zu drei Jahren Haft verurteilt.
Da es im Land derzeit kein gewähltes Parlament gibt – Parlamentswahlen sind für Ende des Jahres geplant – regiert Präsident Al-Sisi mit exekutiven und legislativen Befugnissen und kann Gesetze im Alleingang beschließen. Und davon macht er derzeit reichlich Gebrauch.
© Sofian Philip Naceur 2014