Am heutigen 10. November läuft die von Ägyptens Ministerium für soziale Angelegenheiten gesetzte Frist zur Registrierung von Nicht-Regierungs-Organisationen (NGO’s) ab. Zahlreichen Organisationen droht nach dem Aufruf der zuständigen Ministerin Ghada Wali die Schließung. Grundlage der Aufforderung ist das Gesetz Nr. 84 aus dem Jahr 2002. Trotz mehrfacher Anläufe zur Reform in den vergangenen Jahren ist das alte restriktive Reglement immer noch in Kraft und droht vor allem Menschenrechtsorganisationen in die Illegalität zu treiben und zu kriminalisieren. Nach dem umstrittenen Protestgesetz und der Ausweitung der Militärgerichtsbarkeit für Zivilisten hämmert das Regime in Kairo damit derzeit die letzten Nägel in den Sarg der Zivilgesellschaft im Land und setzt ihren Feldzug gegen jedwede Oppositionstätigkeit unerbittlich fort (erschienen in Junge Welt am 10.11.2014).
Die vage formulierten Bestimmungen von Gesetz Nr. 84 haben seit ihrer Verabschiedung den operativen Spielraum der Zivilgesellschaft bereits stark in Mitleidenschaft gezogen. Zahlreiche NGO’s haben sich daher auch nicht als solche registrieren lassen, sondern sind schlicht als Anwaltsfirmen, zivile Unternehmen oder Rechercheinstitute zugelassen. Artikel 11 des alten Gesetzes besagt, dass eine behördliche Anerkennung von NGO’s und Vereinen untersagt werden kann, wenn deren Aktivitäten die „nationale Einheit“ gefährden, die „öffentliche Ordnung oder Moral“ verletzen sowie ausschließlich Parteien und Gewerkschaften zu Gute kommen. Artikel 17 verbietet die Annahme von Geldern aus dem Ausland, sofern das Ministerium nicht explizit zugestimmt hat. Bei Verstößen drohen nach Artikel 75 Haftstrafen von bis zu einem Jahr und Bußgelder von maximal 1000 Euro. Die Einschaltung der Justiz für derlei Prozesse war obligatorisch.
Die derzeit im Ministerium diskutierten Änderungsvorschläge weiten die staatlichen Kontrollmöglichkeiten auf die Zivilgesellschaft jedoch massiv aus. Die am 18. Juli von Wali bekanntgegebene Registrierungsfrist wurde auf Druck des regierungsnahen Menschenrechtsrates zwar um sechs Wochen verlängert, doch die vom Ministerium zeitgleich veröffentlichten Revisionsvorschläge stehen weiter im Raum. Demnach könnte zukünftig ein mit weitreichenden Befugnissen ausgestattetes staatlich kontrolliertes Koordinationskomitee zur Überwachung von NGO’s eingerichtet werden. Das Komitee könne demnach die Annahme von Geldern unerwünschter Spender verweigern, müsse NGO’s explizit und formal anerkennen und könne direkt in Personalentscheidungen von Organisationen eingreifen. NGO’s sei zudem jede politische Aktivität und das Durchführen nicht genehmigter Datenerhebungen ausdrücklich untersagt. Der umstrittenste Vorschlag besagt jedoch, dass Staatssicherheitsdienst und Innenministerium dem Komitee angehören sollen. Dies würde die Kompetenzen von Geheimdienst und Innenministerium bei der Regulierung der Zivilgesellschaft stark erweitern. Angesichts des repressiven Vorgehens eben dieser Institutionen gegenüber NGO’s bedeutet dies die faktische Institutionalisierung von Daumenschrauben für Ägyptens Zivilgesellschaft.
Dennoch sei nicht klar, welche konkreten Bestimmungen derzeit auf dem Tisch liegen, sagt Mohamed Zaree, Mitarbeiter des Cairo Institute for Human Rights Studies. „Die Ministerin hat ein Komitee einberufen und mit der Ausarbeitung eines neuen Entwurfs beauftragt, doch dieser ist bisher nicht bekannt“, fügt er hinzu.
Kritiker weisen darauf hin, dass sowohl Gesetz Nr. 84 als auch die gegenwärtig diskutierten Vorschläge zur Revision des Textes gegen die Verfassung verstoßen. Artikel 75 des ägyptischen Grundgesetzes besagt, dass NGO’s das Recht haben frei und ohne behördliche Eingriffe zu arbeiten. Auch erlangen NGO’s eine formale Rechtspersönlichkeit nachdem sie die zuständigen Behörden von ihrer Gründung in Kenntnis gesetzt haben. Die jüngsten Revisionsvorschläge verstoßen damit eindeutig gegen die Verfassung.
Ägyptens Zivilgesellschaft hat derzeit wenig Rückenwind. Zwar verurteilte eine Stellungsnahme von sechs linken und liberalen Parteien das gegenwärtige Vorgehen der Regierung gegen die Zivilgesellschaft, doch ist nicht mit einer weitreichenden Richtungsänderung des Regimes zu rechnen. Die US-Menschenrechtsgruppe Human Rights Watch verurteilte die geplante Gesetzesänderung und fordert die Regierung auf das Gesetz zu streichen und durch ein neues Regelwerk zu ersetzen. Die Organisation kritisiert vor allem, dass Ägyptens Exekutive erlaubt werden soll NGO’s ohne richterliche Genehmigung verbieten und schließen zu können.
Doch Staatspräsident Abdel Fattah Al-Sisi hat die Marschroute bereits vorgegeben. Da es in Ägypten derzeit kein gewähltes Parlament gibt, verfügt Al-Sisi sowohl über exekutive als auch legislative Kompetenzen und hat im September per Dekret eine drastische Verschärfung der Strafgesetzgebung signiert. Der Empfang von Geldern aus dem Ausland durch Individuen oder Organisationen, die damit Taten begehen könnten, die das „nationale Interesse, den allgemeinen Frieden oder die Unabhängigkeit und Einheit des Landes“ gefährden, wird zukünftig mit drakonischen Strafen belegt. Für Zivilpersonen sind Strafen von umgerechnet 50000 Euro und lebenslange Haft möglich, für Staatsbedienstete wurde gar die Todesstrafe ins Strafmaß aufgenommen. Letztere Regelung dürfte als Kampfansage an Staatsdiener verstanden werden, die interne Informationen aus Behörden und Ministerien an Presse und Zivilgesellschaft weitergeben.
„Wir wissen nicht was nach dem 10. November passieren wird. Vielleicht passiert nichts, vielleicht werden wir gestürmt und verhaftet“, so Zaree. Doch angesichts einer Meldung in der ägyptischen Zeitung Al-Watan, in der berichtet wird, dass die Staatssicherheit dem Ministerium für soziale Angelegenheiten eine Liste von 100 Menschenrechtsorganisationen übergeben hat, die angeblich illegal operieren, ist gewiss; die heute ablaufende Registrierungsfrist für NGO’s und die scharfe Rhetorik der Regierung sind keine leere Drohung.
UN debattiert Menschenrechtslage am Nil
Die Menschenrechtslage am Nil war am Mittwoch auch Thema für den Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen (UN). Im Rahmen der alle vier Jahre statt findenden Überprüfung der Menschenrechtslage in den Mitgliedsländern wurde bei einem Treffen des Rats in Genf auch Ägyptens jüngste Bilanz unter die Lupe genommen. Und diese fällt vernichtend aus. Der US-Botschafter bei der UN Keith Harper äußerte sich tief besorgt über die Verletzung der Meinungs- und Versammlungsfreiheit durch Ägyptens Regierung, forderte sie auf politische Gefangene freizulassen und die exzessive Gewaltanwendung ägyptischer Sicherheitskräfte gegen Demonstranten adäquat aufzuklären. Zahlreiche europäische Länder – unter anderem Deutschland, Norwegen und Großbritannien – riefen Ägypten dazu auf das umstrittene Protestgesetz zu annullieren und ein neues internationalen Standards entsprechendes NGO-Gesetz zu entwerfen. Vertreter von über 120 Staaten sprachen Empfehlungen und Bedenken zur aktuellen Lage am Nil aus.