Die Kritik am harten Vorgehen ägyptischer Sicherheitskräfte gegen Demonstrationen anlässlich des vierten Jahrestages der Revolution am vergangenen Wochenende sorgt weiter für Zündstoff am Nil. Während das von der verbotenen Muslimbruderschaft angeführte islamistische Lager die meisten der 25 Todesopfer vom letzten Sonntag zu beklagen hat, war der Tod der 31jährigen Aktivistin der Partei Sozialistische Volksallianz Shaima Al-Sabbagh ein Weckruf für Ägyptens linksliberale Opposition. Am Donnerstag versammelten sich rund 80 Frauen am Talaat Harb-Platz in Kairos Stadtzentrum zu einer Mahnwache für die an gleicher Stelle erschossene Sozialistin und forderten ein Ende der Polizeigewalt und den Rücktritt von Innenminister und Regimehardliner Mohamed Ibrahim, einer treibenden Kraft hinter dem hemmungslosen Vorgehen von Ägyptens Polizei gegen regimekritische Proteste (erschienen in Junge Welt am 31.1.2015).
Al-Sabbagh hatte sich am Samstag einer Demonstration ihrer Partei angeschlossen und wollte Blumen auf dem Tahrir-Platz zu Ehren der während der Revolution getöteten Aktivisten niederlegen. Sicherheitskräfte hatten das Feuer auf die Menschengruppe eröffnet. Al-Sabbagh wurde von Schrotmunition am Kopf getroffen und erlag kurz darauf ihren Verletzungen. Während die Allianz und Beobachter Sicherheitskräfte für Al-Sabbaghs Tod verantwortlich machen, beschuldigten die Behörden Muslimbrüder-Anhänger in die Menge geschossen zu haben. Die Staatsanwaltschaft hat eine offizielle Untersuchung des Vorfalls eingeleitet. Während Kairo erneut gebetsmühlenartig islamistische Kader für den Tod von Demonstranten verantwortlich macht ohne stichhaltige Beweise vorzulegen, hat Al-Sabbaghs Tod vor allem im linksliberalen Lager einen Sturm der Entrüstung ausgelöst.
„Wir sind hier, um zu sagen, dass der Terror, den es in Ägypten gibt, ein Staatsterror ist und kein Terror der Menschen, die auf die Straßen gehen, um ihre Rechte einzufordern“, sagt die Demonstrantin Sally Toma am Talaat Harb-Platz. Fathiya Moussa von der Volksallianz betont, die Kundgebung vom letzten Samstag sei friedlich gewesen. „Was hat Shaima getan? Sie hat nur eine Rose getragen. Sie (das Regime) können nicht Feind von Freund unterscheiden. Ist der Feind die Muslimbruderschaft oder die Revolution?“, fragt eine andere Demonstrantin. Die Atmosphäre bei der nicht genehmigten Mahnwache war angespannt. Neben einigen Polizeioffizieren, die selten der Auflösung von Protesten beiwohnen, hatten sich auch Unterstützer von Präsident Abdel Fattah Al-Sisi neben den Sicherheitskräften postiert und skandierten regimefreundliche Parolen. Die Innenstadt glich derweil einer Hochsicherheitszone.
Nachdem die Presse abgezogen war lösten Beamte in Zivil die Mahnwache auf. Das friedliche Vorgehen der Polizei dürfte dem Presseandrang geschuldet sein, schließlich regierte die Regierung erst letzte Woche auf die regierungskritische Berichterstattung über das harte Vorgehen der Polizei gegen die jüngste Protestwelle mit einer Kampagne, die der ausländischen Presse demonstrieren soll, dass nur bei gewalttätigen Protesten repressiv interveniert werde. Zwar wird derzeit meist nur bei Demonstrationen islamistischer Gruppen scharfe Munition eingesetzt, doch auch bei Kundgebungen linksliberaler Bewegungen kommen immer wieder Menschen durch exzessive staatliche Gewalt zu Tode. Auch wenn die Regierung weismachen will, dass sie mit Augenmaß agiert und „Terroristen“ bekämpft, spricht die Realität eine andere Sprache.
Die Sozialistische Volksallianz kündigte unterdessen an die im März und April anstehende Parlamentswahl boykottieren zu wollen, sollte die Regierung nicht auf ihre Forderungen reagieren. Neben der umfassenden Reform der Sicherheitsbehörden, einer Neufassung des umstrittenen Protestgesetzes und der Freilassung aller politischer Gefangener fordert die Allianz staatliche Garantien, dass die Parlamentswahl „frei und fair“ durchgeführt werde sowie den sofortigen Rücktritt Ibrahims, einer zentralen Figur im restaurierten alten Machtapparat. Es gilt als unwahrscheinlich, dass die Regierung auf die Forderungen eingehen wird.
© Sofian Philip Naceur 2015