Nach monatelangen Spekulationen und Ankündigungen aus Ägyptens Staatsapparat über die Freilassung politischer Gefangener und inhaftierter Journalisten ist am Wochenende Bewegung in den Fall der drei seit Dezember 2013 internierten Reporter des im Golfemirat Katar ansässigen TV-Senders Al Jazeera gekommen. Am Sonntag wurde der australische Korrespondent des englischsprachigen Ablegers von Al Jazeera Peter Greste nach 400 Tagen Haft auf freien Fuß gesetzt und abgeschoben. Der kanadisch-ägyptische Bürochef des Senders in Kairo Mohamed Fahmy und der ägyptische Produzent Baher Mohamed verbleiben weiter in Haft. Die drei Journalisten waren am 29. Dezember 2013 in Kairo verhaftet und im Juni 2014 zu sieben und zehn Jahren Haft verurteilt worden. Ihnen wird vorgeworfen die verbotene Muslimbruderschaft unterstützt und Falschnachrichten verbreitet zu haben. Mohamed wird zusätzlich der Besitz von Waffen zur Last gelegt (erschienen in Junge Welt am 3.2.2015).
Am 1. Januar hatte Ägyptens höchstes Berufungsgericht ein Revisionsverfahren gegen die drei zugelassen und damit Spekulationen über eine baldige Freilassung Fahmys und Grestes genährt. Ägyptens Präsident Abdel Fattah Al-Sisi hatte im November ein Präsidialdekret erlassen, welches die Ausweisung ausländischer Gefangener erlaubt sofern es den „nationalen Interessen“ Ägyptens entspreche. Die Nachrichtenagentur Reuters berichtet mit Verweis auf Quellen im ägyptischen Außenministerium, eine Freilassung Fahmys stehe kurz bevor. Er müsse jedoch seine ägyptische Staatsbürgerschaft ablegen, damit das Präsidialdekret auch in seinem Fall angewendet werden könne. Mohamed hat keine Chancen auf eine Freilassung auf dieser Basis. Auch eine Begnadigung seitens Al-Sisis gilt als unwahrscheinlich. In einer Stellungsnahme begrüßt Al Jazeera die Entlassung Grestes, fordert aber die Aufhebung der Urteile und die Freilassung Fahmys und Mohameds.
Der Umgang von Ägyptens Regierung mit Journalisten wird derweil weiter massiv kritisiert. Nach Angaben der Menschenrechtsgruppe Commitee to Protect Journalists sind derzeit mindestens elf weitere Reporter in Ägypten inhaftiert, unter anderem der ägyptische Fotojournalist Mohamed Abou Zeid genannt Shawkan. Shawkan wurde im Zuge der gewaltsamen Räumung eines Protestlagers der Muslimbruderschaft im Osten Kairos im August 2013 verhaftet und sitzt seither ohne Anklage in einem Hochsicherheitsgefängnis in Kairo.
Im Januar hatte Ägyptens Innenministerium angekündigt anlässlich des vierten Jahrestages des Ausbruchs der ägyptischen Revolution am 25. Januar 2015 Häftlinge freizulassen, hatte den Worten jedoch zunächst keine Taten folgen lassen. Am Sonntag verkündete Innenminister Mohamed Ibrahim die Regierung plane die Freilassung von rund 500 Inhaftierter und betonte man wolle damit die „Konzentration von Gefangenen“ in den überfüllten Haftanstalten reduzieren. Fraglich bleibt ob und wie dies mit der jüngsten Anschlagswelle im Sinai zusammenhängt. Am Donnerstag hatten schwer bewaffnete Extremisten mehrere Armee- und Polizeieinrichtungen in Rafah, Sheikh Zuweid und Al-Arish im Nord-Sinai attackiert und dabei nach offiziellen Angaben 30 Menschen getötet. Die Terrorgruppe Ansar Beit Al-Maqdis, die sich erst vor wenigen Wochen offiziell dem Islamischen Staat in Syrien und im Irak angeschlossen hatte, bekannte sich zu den Attentaten. Die ägyptische Zeitung Daily News berichtet mit Verweis auf Angaben von Anwohners von über 100 Opfern.
Als Reaktion auf die Angriffe hatte am Samstag ein Kairoer Gericht die Qassam-Brigaden, den bewaffneten Arm der im Gaza-Streifen regierenden palästinensischen Hamas, zur Terrororganisation erklärt. Die Hamas selbst war bereits im März offiziell verboten worden. Ägypten wirft der Organisation vor maßgeblich für die politisch motivierte Gewalt im Sinai verantwortlich zu sein. Nach der Anschlagswelle und dem Verbot der Qassam-Brigaden wird mit einer Verhaftungswelle gegen mutmaßliche Islamisten am Nil gerechnet. Es stellt sich daher die Frage, ob Ägyptens Regierung mit der Freilassung von Häftlingen, die nicht mit islamistischen Gruppen in Verbindung stehen, lediglich Platz in den überfüllten Gefängnissen des Landes schaffen will.
© Sofian Philip Naceur 2015