Menschenrechtsverletzungen, Willkür und sogar Folter, dafür wird Ägyptens Polizei verantwortlich gemacht. Dennoch will Berlin ägyptische Innen- und Geheimdienstbehörden aus- und weiterbilden und mittels eines Polizeiabkommens die Kooperation mit Kairo intensivieren. Die Linksfraktion im Bundestag schlägt Alarm.
Das ägyptische Innenministerium zählt zu den repressivsten Sicherheitsorganen in der gesamten Region und wird für massive Menschenrechtsverletzungen verantwortlich gemacht. Unverhältnismäßige Polizeigewalt, Willkür und selbst systematische Folter werden den Beamten am Nil vorgeworfen. Dennoch verhandelt die Bundesregierung schon seit 2014 mit Ägyptens Innenbehörden über ein Abkommen zur Polizeikooperation und hat nun erstmals Details über die geplante Zusammenarbeit offiziell bestätigt. Die Verhandlungen seien noch nicht abgeschlossen, daher weigert sich die Bundesregierung auch nach wie vor nähere Angaben zum Verhandlungsprozess zu machen, räumt aber zahlreiche für das Jahr 2015 geplante Ausbildungshilfen ein (erschienen bei Cicero Online am 20.4.2015).
„Das Bundesministerium des Innern hat mit dem Ministerium für innere Angelegenheiten der Arabischen Republik Ägypten im Februar 2015 für das laufende Jahr Maßnahmen für eine intensivere Zusammenarbeit im Verantwortungsbereich der Bundespolizei vereinbart“, heißt es in der Antwort der Bundesregierung auf eine Schriftliche Frage des Abgeordneten der Linksfraktion im Bundestag Andrej Hunko. „Diese Maßnahmen erstrecken sich auf die Bekämpfung illegaler Migration, die Unterstützung bei der Gewährleistung von Luftsicherheit und die Themenbereiche Sprengstoffermittlung/Entschärfung, polizeiliche Aufgabenerfüllung bei Großveranstaltungen und Aus- und Fortbildung“, heißt es dort weiter. Zudem solle ein grenzpolizeilicher Verbindungsbeamter nach Ägypten entsandt werden. Das Bundesamt für Verfassungsschutz führe hingegen derzeit keinerlei Unterstützungsmaßnahmen, Schulungen oder Aus- und Fortbildungsmaßnahmen am Nil durch.
Bisher bestätigt die Bundesregierung sechs Trainingsprojekte des Bundeskriminalamtes (BKA) für ägyptische Sicherheitsbehörden. Die Maßnahmen befänden sich bereits in der Umsetzung, teilte die Bundesregierung mit. Neben der Einladung ägyptischer Sprengstoffexperten zum internationalen BKA-Sprengstoff-Symposium im November in Magdeburg, der Einladung des Leiters der ägyptischen Polizeiakademie zu einem Informationsaustausch mit Vertretern der Fachhochschule des Bundes, der Deutschen Hochschule der Polizei, einer deutschen Landespolizei und dem BKA zu Fragen der Aus- und Fortbildung sollen auch zwei Stipendiaten des ägyptischen Nationalen Sicherheitssektors (NSS) ausgebildet werden. Zudem will Deutschland seine Kooperation mit Kairo im Anti-Terror-Kampf ausweiten. So bestätigt Berlin einen Expertenaustausch auf Fachebene zum Thema „Terrorismus-/Extremismusbekämpfung“ mit dem NSS und dem ägyptischen Geheimdienst GIS (General Intelligence Service) sowie die Besprechung von NSS und BKA Staatsschutz-Abteilungsleitern zum Thema „Terrorismusbekämpfung“. Der NSS, der 2011 aufgelöste und 2013 unter neuem Namen reaktivierte gefürchtete Staatssicherheitsdienst, zählt zu den repressivsten Werkzeugen der Regierung in Kairo und wird für unzählige Menschenrechtsverstöße verantwortlich gemacht.
Doch sind NSS und ägyptische Geheimdienstbehörden die richtigen Partner für eine derartige Kooperation im Sicherheitssektor? Der Abgeordnete der Linksfraktion im Bundestag Hunko meint nein. Ein Abkommen mit der repressiven ägyptischen Polizei würde verfolgten Aktivisten, Bloggern, Homosexuellen und politischen Gruppen in den Rücken fallen, sagt er. Hunko fordert das Bundesinnenministerium auf die Verhandlungen sofort zu suspendieren. „Trotz meiner mehrfachen Nachfragen bleiben alle Inhalte der Verhandlungen unter Verschluss. Diese Heimlichtuerei ist angesichts der zahlreich dokumentierten Menschenrechtsverletzungen der ägyptischen Polizei nicht hinnehmbar. Die Bundesregierung hatte die Verhandlungen wegen der Repression durch Polizei und Militär selbst für einige Zeit auf Eis gelegt. Das Innenministerium muss erklären, inwiefern sich diese Koordinaten geändert haben sollen“, erklärt er weiter. Eine Verbesserung der Menschenrechtslage im Land sei schließlich nicht erkennbar, meint Hunko.
In der Tat ist Ägyptens Opposition seit 2013 einer seit den 1950ern nicht dagewesenen Verfolgungswelle ausgesetzt. Tausende Oppositionelle aus dem islamistischen aber auch linksliberalen Lager wurden seither unter teils haarsträubenden strafrechtlichen und juristischen Prozeduren inhaftiert und verurteilt. Willkür und Folter in ägyptischen Polizeistationen und Gefängnissen seien die Regel, bestätigen ägyptische und internationale Menschenrechtsgruppen. Selbst der staatlich kontrollierte ägyptische Menschenrechtsrat spricht inzwischen offen über Foltervorwürfe gegen Personal des Abu Zaabal Gefängnisses im Nord-Osten Kairos. Seit Ausbruch der Revolution 2011 starben tausende Demonstranten bei Zusammenstößen mit dem Sicherheitsapparat, doch während immer wieder Protestler unter Terrorismusverdacht verhaftet und strafrechtlich verfolgt werden, sind Gerichtsprozesse gegen Polizisten rar gesät. Eine Reform der mächtigen Innenbehörden wird seit 2011 immer wieder gefordert, doch ein politischer Wille für eine Reform ist auch weiterhin nicht erkennbar. Stattdessen streiten Ägyptens Regierung und das Innenministerium in Kairo immer wieder konsequent ab für Menschenrechtsverstöße oder Verfehlungen verantwortlich zu sein.
Hunkos Büro hatte bereits im November gemeinsam mit der Linksfraktion im Bundestag eine Kleine Anfrage an die Bundesregierung gestellt und damit die Wiederaufnahme der Verhandlungen mit Ägypten über ein Polizeiabkommen enthüllt. Damals bestätigte Berlin lediglich, dass verhandelt wird, weigerte sich jedoch weitere Details zum Stand oder gar Gegenstand der Gespräche mitzuteilen. „Besonders zynisch sehe ich die Mitteilung der Bundesregierung, ihre Unterstützung des ägyptischen Sicherheitsapparates erst zu stoppen wenn „Beweise für einen Missbrauch des vermittelten Wissens“ vorliegen. Ein Gespräch mit Nichtregierungsorganisationen würde Hunderte Fälle von Menschenrechtsverletzungen und Justizwillkür zutage fördern“, erklärte Hunko vergangene Woche mit Verweis auf die Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Linksfraktion im November. Angesichts der katastrophalen Menschenrechtsbilanz Ägyptens muss sich die Bundesregierung durchaus die Frage gefallen lassen, warum überhaupt über ein solches Abkommen verhandelt wird und Berlin derartige Ausbildungsmaßnahmen nicht zwingend an die Einhaltung internationaler Menschenrechtsstandards und die lückenlose Aufklärung vergangener Verfehlungen knüpft.
© Sofian Philip Naceur 2015