Der umstrittene Berlin-Besuch von Ägyptens Staatspräsident Abdel Fattah Al-Sisi sorgt bereits im Vorfeld der geplanten Gespräche des Autokraten mit Bundeskanzlerin Angela Merkel und Bundespräsident Joachim Gauck für Wirbel in der deutsche Hauptstadt. Die Bundestagsabgeordneten von Bündnis 90/Die Grünen Dr. Franziska Brantner und Omid Nouripour luden für Dienstag Nachmittag zu einem öffentlichen Fachgespräch zum Thema „Ägypten: Stabilität versus Menschenrechts?“ ins Paul-Löbe-Haus des deutschen Bundestages ein und wollten unter anderem den ägyptischen Menschenrechtsaktivisten und Gründer der ägyptischen Menschenrechtsorganisation Egyptian Commission for Rights and Freedoms (ECRF) Mohamed Lotfy zu Wort kommen lassen. Doch daraus wurde nichts. Ägyptens Behörden verweigerten Lotfy am Dienstag Morgen am Flughafen in Kairo die Ausreise und konfiszierten seinen Pass. Brantner sowie die Fraktionsvorsitzende der Grünen im Bundestag Katrin Göring-Eckardt verurteilten in einer Stellungnahme das Ausreiseverbot für Lotfy aufs Schärfste und bezeichneten sie als „Ohrfeige“ der ägyptischen Führung für Merkels Regierung (erschienen in Junge Welt am 4.6.2015).
Das Fachgespräch wurde derweil am Ende der Veranstaltung von Unterstützern des ägyptischen Despoten gestört und sprichwörtlich instrumentalisiert. Rund ein Dutzend teilweise aus Kairo mit Al-Sisi angereiste regimefreundliche Journalisten und Unterstützer des ägyptischen Staatschefs nahmen auf der Empore des Sitzungssaales Platz und lieferten sich Wortgefechte mit im Publikum sitzenden regimekritischen Ägyptern. Nachdem Mitgliedern der Gruppe das Wort erteilt wurde, gaben sie die Mikrofone nicht mehr aus der Hand und unterbrachen sämtliche Versuche Brantners das Fachgespräch wieder in geordnete Bahnen zu lenken.
Al-Sisi missbraucht die politische Bühne in Berlin für propagandistische Zwecke und ließ neben bekannten Schauspielern auch regimefreundliche Journalisten einfliegen, die sich gestern bei mehreren öffentlichen Versammlungen im Berliner Regierungsviertel unter die Präsidentenunterstützer mischten. Der Präsident ist angeschlagen und hat öffentlichkeitswirksame Bilder wie diese offenbar nötig. Seine Unterstützung im Volk bröckelt bereits massiv. Dass er nicht davor zurückschreckt Journalisten zu einem Fachgespräch der Grünen zur Menschenrechtslage am Nil zu schicken, um die dort vorgetragene Kritik an Menschenrechtsverstößen durch Ägyptens Polizei und Folter in ägyptischen Gefängnissen mit militär- und regimefreundlichen Parolen kleinreden zu lassen, kommt einem Eklat gleich. Das aggressive Auftreten von Al-Sisis Unterstützern im Rahmen des Fachgesprächs stehe derweil symbolisch für das Demokratieverständnis seiner Anhänger, sagt eine Besucherin der Veranstaltung nach der Sitzung gegenüber jW. Andere Meinungen zu Wort kommen lassen sei derzeit nicht im Interesse der Herrschenden und der regimfreundlichen Presse in Ägypten.
„Wenn die Bundesregierung morgen für Al-Sisi den roten Teppich ausrollt, dann für einen Autokraten, der sämtliche Prinzipien von Rechtsstaatlichkeit und Demokratie mit Füßen tritt. Die Repression gegenüber Mohamed Lotfy bestätigt die Warnungen aller Menschenrechtsorganisationen, die gegen die Einladung Al-Sisis protestiert haben“, heißt es unterdessen in der Erklärung von Brantner und Göring-Eckardt. Und auch die Linkspartei macht weiter mobil gegen Al-Sisis Berlin-Besuch. Die linke Bundestagsabgeordnete Christine Buchholz kritisiert ihn für auch weiterhin anhaltende massive Menschenrechtsverletzungen in Ägypten und wirft ihm vor die alten Machtverhältnisse im Land restauriert zu haben. Den Besuch in Berlin bezeichnet sie in der Stellungnahme als „Schande“ und verurteilt die geplanten polizeilichen Ausbildungshilfen deutscher Polizeibehörden für ägyptische Repressionskräfte. Diese richte sich vor allem an eine stärkere Einbindung der ägyptischen Polizei in den von Deutschland und der EU voran getriebenen Kampf gegen Flüchtlinge, die von Ägypten und Libyen aus flüchten und versuchen per Boot europäisches Territorium zu erreichen.
© Sofian Philip Naceur 2015