Kairo schreibt Geschichte um – Regime will Erinnerung an das Rabaa-Massaker auslöschen

Ägyptens Regierung kündigte vergangene Woche überraschend die Umbenennung des Rabaa Al-Adaweja-Platzes in Nasr City im Osten der ägyptischen Hauptstadt Kairo an. Der symbolträchtige Platz soll zukünftig den Namen des am 29. Juni 2015 bei einem Autobombenanschlag in Kairo getöteten Generalstaatsanwalt Hisham Barakat tragen, eine klare Provokation an das oppositionelle islamistische Lager rund um die im Juli 2013 von der ägyptischen Armee gewaltsam entmachtete Muslimbruderschaft. Für die Organisation und die mit ihr verbündeten Kräfte im Land ist der Rabaa-Platz ein Symbol für die Repression des restaurierten Militärregimes gegen die islamistische Opposition. Kurz nach dem Sturz des islamistischen Expräsidenten Ägyptens Mohamed Mursi im Juli 2013 hatten Anhänger der Bruderschaft auf dem Rabaa Al-Adaweja-Platz und nahe der Universität von Kairo in Gizeh zwei Protestlager aufgebaut und damit gegen die Entmachtung der demokratisch gewählten Islamisten demonstriert. Rund sechs Wochen harrten sie auf dem Platz aus bevor Polizeikräfte am 14. August 2013 beide Protestlager gewaltsam räumen ließen. Das Rabaa-Massaker gilt als das schwerste in Ägyptens neuerer Geschichte. Rund 1000 Menschen wurden dabei getötet (erschienen in Junge Welt am 22.7.2015).

Barakat wiederum galt als Hardliner innerhalb des wieder an die Macht gespülten Militärregimes und war nach seiner Ernennung zum Chefankläger des Staates im Juli 2013 federführend bei der seither anhaltenden politisch motivierten strafrechtlichen Verfolgung von Funktionären und Anhängern der Muslimbruderschaft. In seiner fast zweijährigen Amtszeit wurden tausende Anhänger und Mitglieder der Muslimbruderschaft zu Haftstrafen oder gar Todesstrafen verurteilt. Barakat spielte auch bei politisch motivierten Anklagen gegen linksliberale Aktivisten eine Schlüsselrolle und zog somit auch Unmut aus der säkularen Opposition auf sich.

Barakat ist der hochrangigste Staatsvertreter, der seit den frühen 1990er Jahren einem Anschlag zum Opfer fiel. Ägyptens Präsident Abdel Fattah Al-Sisi kündigte nach Barakats Ermordung an Todesstrafen zukünftig konsequenter durchzuführen, Begnadigungen werde es keine geben. Bei einer Razzia in einer Satellitenstadt vor den Toren Kairos wurden einen Tag nach dem Attentat auf Barakat neun Mitglieder der Muslimbrüder von Sicherheitskräften erschossen. In einer offiziellen Stellungnahme der Regierung hieß es man habe eine bewaffnete Zelle ausheben wollen, die weitere Anschläge geplant und das Feuer auf die Sicherheitskräfte eröffnet habe. Die Bruderschaft betonte hingegen die erschossenen Männer seien unbewaffnet gewesen.

Aus dem Umfeld der in Ägypten seit Dezember 2013 als Terrorvereinigung eingestuften Muslimbruderschaft war erwartungsgemäß scharfe Kritik an der Umbenennung des Platzes zu vernehmen. Mohamed Soudan, Funktionär der Partei für Freiheit und Gerechtigkeit (FJP), des politischen Arms der Bruderschaft, nannte die Ankündigung der Regierung den Rabaa-Platz umzubenennen einen „Witz“. Kein Mensch werde den neuen Namen nutzen. Das Al-Sisi-Regime ziele mit der Umbenennung darauf ab das Massaker auf dem Platz vom 14. August 2013 vergessen zu machen, so Soudan gegenüber jW. „Die Erinnerungen an das Rabaa-Massaker sind ins Gedächtnis des ägyptischen Volkes eingebrannt“, sagte er weiter. Soudan betonte eine politische Lösung im Konflikt zwischen Bruderschaft und Staatsapparat sei auch weiterhin denkbar. Voraussetzung sei jedoch, dass sich die Armee nicht mehr in die Politik am Nil einmische und in die Kasernen zurückkehre.

Die Initiative für die Umbenennung des Platzes kam nach Angaben der ägyptischen Tageszeitung Daily News aus der ägyptischen regimenahen Justiz selbst. Sie solle die Erinnerung an das Protestlager der Bruderschaft „ausradieren“ und mit der „ewigen Erinnerung an Barakats Martyrium“ ersetzt werden, heißt es dort. In der Tat betreibt das Regime derzeit intensivierte Symbolpolitik. Während die Bruderschaft weiter dämonisiert wird, zielt Kairo auf eine regimefreundliche Neuinterpretation der jüngeren Geschichte des Landes.

© Sofian Philip Naceur 2015

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