Wahl des Geldes – Parlamentswahl in Ägypten

Am Wochenende sind Ägyptens Wahlberechtigte erstmals seit Herbst 2011 aufgerufen ein neues Parlament zu wählen. Und das wird auch Zeit, schließlich wurde die letzte regulär arbeitende Volksvertretung im Land schon Mitte 2012 gerichtlich aufgelöst. Seither regiert der Staatspräsident faktisch im Alleingang. Doch auch ein gewählten Parlament wird die Machtverhältnisse am Nil nicht wesentlich verändern. Seit dem Sturz von Ägyptens Expräsident Mohamed Mursi im Juli 2013 hat sich das alte vom Militärapparat dominierte Regime vollständig restauriert und setzt alles daran seinen monopolisierenden Einfluss auf Wirtschaft und Politik zu behaupten. In diesem Sinne werde das umstrittene Wahlgesetz dafür sorgen, dass keine oder nur wenige revolutionäre und auf politischen Wandel setzende Kräfte in die neue Kammer einziehen werden, sagt der Vizepräsident der Sozialistischen Volksallianz, Medhat Zahed, gegenüber jW. „Das neue Parlament wird von Unternehmern aus den Städten und Feudalisten und Kapitalisten vom Land kontrolliert werden“, glaubt er (erschienen in Junge Welt am 15.10.2015).

Derlei Befürchtungen sind indes alles andere als unbegründet. Die nach wie vor stärkste Oppositionskraft im Land, die islamistische und von Ägyptens Regierung als Terrororganisation eingestufte Muslimbruderschaft von Exstaatschef Mursi, boykottiert die Wahl und progressive linke oder liberale Kräfte sind schlichtweg zu schwach, um sich gegen die finanziell gut ausgerüsteten Kampagnen regimenaher Kandidaten und Parteien durchsetzen zu können. Der aktuelle Wahlkampf läuft demnach nach der Prämisse: Wer Geld hat und eine Kampagne finanzieren kann, wird gewinnen. Demokratische, pluralistische Kräfte haben das Nachsehen.

Während das Gros der Bevölkerung die Wahlen weitestgehend ignoriert, hofft die Partei der Freien Ägypter (Hizb Al-Masryeen Al-Ahrar) des Milliardärs und Geschäftsmannes Naguib Sawiris auf ein gutes Ergebnis. Parteisprecher Shehab Wagih zeigte sich am Montag auf einer Pressekonferenz sehr optimistisch. Die straff neoliberal orientierte Partei setzt zwar rhetorisch auf soziale Reform, bleibt aber ihren Leitmotiven – Marktwirtschaft und freier Kapitalverkehr – treu. „Primäres Ziel der Partei ist die Bekämpfung der Armut“, betonte Wagih wenig glaubwürdig und ließ anschließend keinen Zweifel daran, wie nahe die Partei dem Regime steht. „Ahmed Mortada ist einer der besten Kandidaten, die wir haben“, sagte er. Mortada, der in den bürgerlichen Wahlbezirken Agouza und Dokki in der Stadt Gizeh antritt, gilt als Verbündeter Al-Sisis und Profiteur der politischen Ordnung. Er polarisiert und macht keinen Hehl aus seiner Nähe zum Regime.

Mortada tritt wie viele andere Kandidaten ohne Wahlprogramm an. Er habe kein Programm für den Bezirk, in dem er antrete, adaptiere aber jenes der Freien Ägypter, betont Wagih. Während seiner Kampagne höre er aber den Menschen zu, um später ein Programm für seinen Wahlkreis zu entwerfen. „Menschen kennen Persönlichkeiten, aber keine Parteien. Daher haben wir von Anfang an Kandidaten gesucht, die populär sind und eine absolute Mehrheit in ihren Bezirken erringen können“, sagte Wagih. 448 Sitze werden schließlich per Mehrheitswahl vergeben, nur 120 gehen an Parteilisten. Entsprechend werden Kandidaten mit finanziell gut ausgestatteten Kampagnen bevorteilt, meint der Auslandssekretär von Ägyptens Sozialdemokratischer Partei, Hussein Gohar. „Wir haben landesweit nur 4 Millionen ägyptische Pfund (umgerechnet rund 450.000 Euro) für die Kampagne zusammengekratzt. Die Freien Ägypter stecken bis zu fünf Millionen Pfund in die Kampagne jedes einzelnen Kandidaten“, glaubt er. Die Sitze der Freien Ägypter werden die teuersten Sitze in der Geschichte des Landes sein. So klingt Galgenhumor im heutigen Ägypten. Parteigründer Sawiris habe zudem ein Medienimperium hinter sich und könne entsprechend für seine Partei werben. Dennoch werden die Freien Ägypter keine Mehrheit im Parlament erringen, dies werde keiner schaffen, meint Gohar. Die neue Kammer werde extrem fragmentiert sein und Al-Sisi nicht Paroli bieten können und dies vermutlich auch gar nicht wollen.

© Sofian Philip Naceur 2015

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