Ägyptens Wahlmarathon ist nach fast sieben Wochen Wahlprozess endlich zu Ende gegangen – mit einem wenig überraschenden Ergebnis. Während islamistische und linksliberale regimekritische Kräfte nur wenige Sitze in der neuen Volksvertretung ergattern konnten, gehen regimetreue Parteien und Kandidaten als klare Sieger aus den Parlamentswahlen hervor. Doch die Zeiten der jahrzehntelangen Einparteienherrschaft unter Ägyptens 2011 gestürztem Exdiktator Hosni Mubarak und dessen Nationaldemokratischer Partei (NDP) sind vorbei. Denn trotz des Einzugs zahlreicher Ex-NDP-Funktionäre ins neue Parlament ist das regimenahe Lager hochgradig fragmentiert und dürfte Zeit brauchen, um sich in der neuen Volksvertretung zu konsolidieren und angesichts der Zersplitterung dauerhaft mehrheitsfähige Strukturen zu formen (erschienen in Junge Welt am 7.12.2015).
Noch im Dezember soll sich das Parlament konstituieren. Damit wird die jahrelange parlamentarische Durststrecke im Land beendet, denn Ägypten bekommt aufgrund der gerichtlichen Auflösung des letzten Parlamentes 2012 erstmals seitdem wieder eine gewählte Volksvertretung. Diese einzige nach der Revolution 2011 gewählte Kammer war von islamistischen Kräften dominiert – der Partei für Freiheit und Gerechtigkeit (FJP), dem politischen Arm der heute verbotenen Muslimbrüder und der ultrakonservativen salafistischen Partei des Lichts (Hizb Al-Nour). Doch beide Parteien hatten bei der jüngsten Wahl das Nachsehen und verschwinden in der parlamentarischen Bedeutungslosigkeit. Während die Wahlsiegerin der letzten Abstimmung, die FJP, nicht antrat, blieb Hizb Al-Nour deutlich hinter ihren Erwartungen zurück und kommt auf nur elf Mandate im insgesamt 596 Abgeordnete zählenden Repräsentantenhaus.
Insgesamt 21 Parteien ziehen ins neue Parlament ein. Stärkste Kraft wird die neoliberale Partei der Freien Ägypter (FEP), die auf 65 Mandate kommt. Danach folgen die Partei Zukunft des Heimatlandes mit 51 und die regimenahe liberale Al-Wafd-Partei mit 32 Mandaten. Alle drei traten bei dem Urnengang unter dem Dach der dem Regime und Präsident Abdel Fattah Al-Sisi nahe stehenden Wahlallianz In Liebe zu Ägypten (Fi Hob Masr) an und wollen ihre Kooperation während des Wahlkampfes auch im neuen Parlament fortführen. Das kündigte die Leitung der Allianz noch vor Ende der Stichwahl Anfang Dezember an.
Das Zünglein an der Waage wird jedoch keine Partei sein, denn die größte parlamentarische Gruppe in der neuen Kammer ist der Block unabhängiger Abgeordneter. Ganze 316 Sitze gingen an parteilose Kandidaten. Prognosen über langfristige Koalitionen bleiben daher vorerst spekulativ. Dennoch wird zügig eine Bildung eines Mehrheitsblock erwartet, der von FEP, Zukunftspartei und Al-Wafd dominiert werden wird. Wie viele Unabhängige sich anschließen werden ist derzeit noch unklar, doch Fi Hob Masr rechnet sich Chancen auf eine Zweidrittelmehrheit aus.
Abzuwarten bleibt wie sich eine von Fi Hob Masr angeführte Koalition im neuen Parlament zu Al-Sisis Politik positioniert. Denn auch wenn dessen autoritäre Herrschaft stabil anmutet und auf Rückhalt aus dem Staats- und Militärapparat zählen kann, zeichnen sich erste Risse in der propagierten Einheit des Regimes ab. Alte Mubarak nahe stehende Kader sorgen schon länger für raueren Wind um den Präsidentenpalast in Kairo, doch mehr als den Austausch führender Köpfe im Staatsapparat fordern diese auch nicht. Sowohl Mubaraks alte Seilschaften, als auch die Al-Sisi treu zur Seite stehenden Kräfte wollen den Status Quo bewahren.
Linksliberale regimekritische Kräfte bleiben derweil marginalisiert, vor allem weil Regimegegner den Urnen fern blieben. Die Wahlbeteiligung lag offiziell bei nur 28 Prozent. Die Sozialistische Volksallianz konnte mit keinem ihrer zehn Kandidaten punkten und geht leer aus, während die Sozialdemokratische Partei auf nur drei Mandate kommt. Auch einige unabhängige dem revolutionären Lager nahe stehende Abgeordnete wird es geben, doch die regimekritischen Kräfte dürften aufgrund ihres schlechten Abschneidens in Ägyptens restaurierter parlamentarischer Diktatur auf legislativer Ebene wenig ausrichten können.
© Sofian Philip Naceur 2015