Die finale Verhandlungsrunde zwischen Ägyptens Regierung und dem Internationalen Währungsfonds (IWF) über ein milliardenschweres Kreditpaket für das in einer beispiellosen Wirtschaftskrise steckende Land steht kurz vor dem Abschluss. Seit zehn Tagen sprechen eine Delegation des IWF unter Leitung von Christopher Jarvis sowie Vertreter von sieben ägyptischen Ministerien und der Zentralbank in Kairo über die Details des Deals, von dem sich Ägypten einen makroökonomischen Befreiungsschlag verspricht (siehe auch jW vom 1.8.). Ob der von der internationalen Finanzbranche prognostizierte positive Effekt dieses Abkommens die krisengeplagte Wirtschaft des Landes auch langfristig zu stabilisieren vermag, darf bezweifelt werden. Denn der IWF setzt trotz unzähliger Beispiele negativer Auswirkungen noch immer konsequent auf neoliberale Reformen. Ägyptens politische Führung riskiert damit, die soziale Ungleichheit im Land noch weiter zu verschärfen (erschienen in junge Welt am 9.8.2016).
Im Gespräch ist ein Kreditpaket in Höhe von insgesamt 21 Milliarden US-Dollar. Zwölf Milliarden sollen verteilt über drei Jahre vom IWF nach Kairo überwiesen werden, weitere drei Milliarden kommen von der Weltbank und 1,5 Milliarden US-Dollar von der Afrikanischen Entwicklungsbank. Zusätzliche Mittel sollen durch den Verkauf von Staatsanleihen akquiriert werden. Kairo will damit das Milliardenloch im Haushalt stopfen, ausländische Investoren anlocken und den Mangel an Devisen bekämpfen, der Ägyptens Wirtschaft lähmt.
Doch das Engagement des IWF am Nil ist im Land höchst umstritten. Auch deshalb versucht die Regierung den Eindruck zu vermitteln, die IWF-Kredite seien nicht an Bedingungen geknüpft. Finanzminister Amr Al-Garhy betonte gegenüber dem TV-Sender MBC Masr, das Reformprogramm sei »zu 100 Prozent ägyptisch«. Dem IWF obliege lediglich die Aufgabe, das »Reformpaket« auf seine Effektivität im Hinblick auf seine erklärten Ziele zu überprüfen. Die ägyptische Tageszeitung Al-Masry Al-Youm berichtet dagegen unter Verweis auf eine anonyme Quelle in der Regierung, der IWF habe 14 Bedingungen an eine Kreditvergabe formuliert. Al-Garhy dementiert heftig, aber wenig glaubwürdig.
Denn die Verhandlungen mit dem Fonds laufen zwar erst seit drei Monaten, wie das Finanzministerium in einer Stellungnahme erklärte, doch der IWF steht bereits seit 2011 bereit einzuspringen. Sowohl der damals regierende Oberste Militärrat (SCAF) unter Feldmarschall Hussein Tanwawi als auch die im Sommer 2012 gewählte Regierung des islamistischen Expräsidenten Mohammed Mursi signierten Abkommen mit dem IWF. Beide wurden jedoch nie mit Leben erfüllt. Zu sehr fürchteten beide den Verlust staatlicher Souveränität nach Umsetzung der an die Kreditvergabe geknüpften Bedingungen.
Doch schon 2014 und 2015 reisten mehrere Delegationen des Währungsfonds zu Gesprächen nach Kairo und lobten die von der Regierung ergriffenen Kürzungsmaßnahmen wie die – allerdings unmittelbar nach ihrer Einführung auf Eis gelegte – partielle Streichung der Benzin- und Stromsubventionen und die seit 2015 vorangetriebene Einführung einer Mehrwertsteuer. Dies sowie das geplante Gesetz zur Neuregelung des öffentlichen Dienstes, das Massenentlassungen den Weg bereiten dürfte, zählen zu den Standardforderungen der UN-Institution. Es ist mehr als wahrscheinlich, dass Kairo schon länger auf ein Abkommen mit dem IWF setzt, aus politischen Gründen aber den Eindruck erwecken will, die ergriffenen Maßnahmen seien nicht vom verhassten Finanzinstitut angeraten worden.
Staatspräsident Abdel Fattah Al-Sisi versucht derweil zu beschwichtigen. Vergangene Woche versprach er, ein erfolgreicher Abschluss der Gespräche mit dem IWF werde das Vertrauen internationaler Anleger in Ägyptens Wirtschaft erhöhen. Er betonte, die Bevölkerung müsse sich auf »harte Maßnahmen« einstellen, die notwendig seien, um der Wirtschaft wieder auf die Beine zu verhelfen. Indirekt forderte Al-Sisi die Öffentlichkeit auf, sich hinter ihn zu stellen. Die Regierung arbeite an der Einführung eines Systems, das sicherstelle, dass zukünftig nur noch diejenigen von staatlichen Subventionen profitieren, die auf diese angewiesen seien. Wie dieses System konkret aussehen soll, ließ er offen.
Derweil werden immer mehr Details über die geplante Privatisierung staatlicher Unternehmen bekannt. So will das Kabinett Firmenanteile im Öl-, Strom- und Bankensektor über die Kairoer Börse veräußern. Investmentministerin Dalia Khorshid kündigte nach Angaben von Al-Masry Al-Youm an, auch in anderen Branchen Privatisierungen vorantreiben zu wollen. Damit werden zum ersten Mal seit 2005 wieder staatseigene Betriebe privatisiert.
Während das geplante Mehrwertsteuergesetz in der Wirtschaft auf erbitterten Widerstand stößt, kritisiert die linke Opposition vor allem das Gesetz zur Neuregelung des öffentlichen Dienstes und den Verkauf des Tafelsilbers. Auch Ägyptens Sozialdemokratische Partei wolle sich gegen das IWF-Abkommen aussprechen, erklärte ein hochrangiges Mitglied der Partei gegenüber jW. Noch habe man sich nicht mit Stellungnahmen an die Öffentlichkeit gewandt, die parteiinternen Debatten seien noch nicht abgeschlossen.
© Sofian Philip Naceur 2016