Ägyptens taktisches Votum im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen (UNSC) am 8. Oktober sorgt weiterhin für dicke Luft zwischen Riad und Kairo. Ägypten hatte für den von Frankreich, aber auch den von Russland eingebrachten Resolutionsentwurf zum Konflikt in Syrien votiert und damit seinen Verbündeten Saudi-Arabien vor den Kopf gestoßen. Zwar fielen beide Entwürfe durch, aber Kairos bündnispolitisch motivierter Sonderweg bei der Abstimmung wird zur Belastungsprobe für die saudisch-ägyptischen Beziehungen (erschienen in junge Welt am 17.10.2016).
Ägyptens UN-Botschafter, Amr Abu Atta, erklärte sein Abstimmungsverhalten damit, dass beide Entwürfe gemeinsame Elemente enthielten, für die sich sein Land einsetzen wolle. Dazu zähle die Forderung nach dem Ende der Angriffe auf Zivilisten und der Beendigung der Blockade für Hilfsgüter im umkämpften Aleppo. Wichtigster Unterschied beider Resolutionen ist die Passage im französischen Text, die den sofortigen Stopp der Luftangriffe auf Aleppo fordert und im russischen Entwurf nicht vorkommt.
Während Ägypten mit dem Votum ihrer 2014 neu ausgerichteten außenpolitischen Linie folgt, attackierten Saudi-Arabien und Katar das Regime von Präsident Abdel Fattah Al-Sisi scharf für dessen pro-russisches Votum. Saudi-Arabien unterstützt in Syrien Gruppen, die auf den Sturz von Syriens Präsident Bashar Al-Assads setzen während Russland und Iran dem syrischen Staatschef den Rücken stärken. Ägypten wiederum gilt seit den späten 1970ern als wichtiger Verbündeter der USA, bezieht von diesen jährlich Militärhilfen in Höhe von bis zu 1,5 Milliarden US-Dollar, startete aber 2014 unter Al-Sisis Ägide eine Charmeoffensive in Richtung Moskau. Russland und Ägypten bauen seither ihre handels-, rüstungs- und sicherheitspolitische Kooperation stark aus. Kairos UN-Votum ist Abbild dieser neuen Außenpolitik, die mittels der breiteren Streuung der Abhängigkeiten von den Großmächten versucht, Ägyptens außenpolitischen Spielraum zu erhöhen.
Riad jedoch ist über derartige ägyptische Sonderwege hochgradig verärgert, überwies das autoritäre Königreich doch seit 2013 milliardenschwere Hilfen nach Ägypten, um das Regime zu stabilisieren und den Kollaps der ägyptischen Wirtschaft abzuwenden. Im Gegenzug für Kredite, fiskalpolitische Hilfen und die Versorgung mit Erdölprodukten durch den saudischen Energieriesen Saudi-Aramco beteiligt sich Kairo am von Riad angeführten Krieg im Jemen, der gemeinhin als Stellvertreterkrieg Irans und Saudi-Arabiens begriffen wird. Unmittelbar nach Ägyptens Votum im UNSC kündigte Saudi-Aramco an, die geplante Lieferung für den Monat Oktober zu streichen. Der Konzern ließ offen, ob und wann der auf fünf Jahre ausgelegte 23 Milliarden US-Dollar schwere Liefervertrag wieder aufgenommen werden soll.
Die Unterbrechung der Öllieferungen durch Saudi Arabien solle man als deutliche Nachricht an Ägypten verstehen. Riad mache damit klar, dass es kein Geld zu verschenken hat, sondern dafür ein Mindestmaß an Kooperation erwartet, meint Matthias Sailer von der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik. Mit der Abstimmung im UNSC zu Syrien sei Kairo dem nicht mehr gerecht geworden. Sailer hält die Kritik Riads an Kairo zwar nicht für einen „echten Bruch“, glaubt aber, das könne sich ändern, wenn Kairo auch weiterhin eine Regionalpolitik betreibt, die „elementaren saudischen Interessen“ widerspreche.
Ägyptens Premierminister Sherif Ismail versicherte derweil, das ägyptisch-saudische Verhältnis sei „gut und solide“, während Al-Sisi Gerüchte über die Wiedereröffnung einer russischen Militärbasis an der ägyptischen Küste entschieden zurückweisen ließ. Beide Äußerungen deuten daraufhin, dass das Regime in Kairo versucht, die Spannungen mit Riad nicht weiter eskalieren zu lassen, denn auf lange Sicht kann das klamme Moskau die saudischen Finanzhilfen nicht ersetzen. Kairo bleibt trotz des Kreditabkommens mit dem International Währungsfond vorerst auf Riads Hilfen angewiesen und muss bei seiner Annäherung an Moskau behutsam agieren.
© Sofian Philip Naceur 2016