Die Bundesregierung hält in Abstimmung mit der EU am Ausbau der migrationspolitischen Kooperation mit dem Militärregime in Ägypten fest. Das geht aus einer Antwort Berlins auf eine Kleine Anfrage der Fraktion Die Linke im Deutschen Bundestag unter Federführung des Abgeordneten Andrej Hunko hervor. Zeitgleich setzt die EU im Zuge des gestern begonnenen EU-Gipfeltreffens in Malta neue Akzente in der gemeinsamen Migrations- und Abschottungspolitik im Mittelmeer und radikalisiert ihr Vorgehen in Form einer stärkeren sicherheitspolitischen Kooperation mit nordafrikanischen Staaten sowie der offenbar geplanten Aufweichung des Prinzips der Nicht-Zurückweisung, welches das Abweisen von Flüchtenden an der Grenze untersagt (erschienen in junge Welt am 4.2.2017).
In ihrer Antwort auf die Anfrage erklärt Berlin, die Ziele der Zusammenarbeit mit Ägypten seien der Schutz der EU-Außengrenzen, die Bekämpfung der Fluchtursachen und die verbesserte Gestaltung und Steuerung von Migration. Zentrales Thema in allen Gesprächen der EU mit Drittstaaten wie Ägypten im Migrationskontext sei die Rückführung von Personen ohne Aufenthaltsstatus in der EU, heißt es weiter. Die Bundesregierung bestätigt zudem ein erstes Treffen zwischen der EU-Grenzschutzagentur Frontex und ägyptischen Behörden, das im Oktober 2016 in Kairo stattgefunden habe.
Das im Juli 2016 in Berlin unterzeichnete deutsch-ägyptische Sicherheitsabkommen, in dessen Rahmen die Bundespolizei und das Bundeskriminalamt (BKA) ägyptische Sicherheitskräfte ausbilden, sei noch nicht in Kraft getreten, berichtet Berlin weiter. Die Bundesregierung stimme sich zudem mit EU-Staaten wie Italien über Maßnahmen der polizeilichen Aufbauhilfe ab, um eine Duplizierung von Ausbildungs- und Ausstattungshilfen zu vermeiden. Italien schloss bereits im Jahr 2000 ein Polizeiabkommen mit Ägypten ab und setzte die darin vereinbarten Trainings auch nach 2011 fort. Wie Berlin erklärt, führte Rom seither rund zehn Ausbilungsmaßnahmen pro Jahr für Vertreter ägyptischer Sicherheitsbehörden durch – trotz anhaltender Menschenrechtsverletzungen ägyptischer Sicherheitskräfte gegen Oppositionelle und Menschenenrechtler und der bis heute nicht aufgeklärten Ermordnung des italienischen Studenten Giulio Regeni Anfang 2016 in Kairo, für die gemeinhin ägyptische Sicherheitskräfte verantwortlich gemacht werden.
Ein eigentlich für Dezember geplanter Workshop des BKA für ägyptische Sicherheitsbehörden zum Thema Internet-Straftaten und Beobachtung von Websites, die von Terroristen für die Verbreitung extremistischer Inhalte genutzt werden, sei bisher nicht durchgeführt worden, so Berlin. Eine begrüßenswerte Entwicklung. Denn angesichts des am Donnerstag bekanntgewordenen und professionell durchgeführten Hackerangriffs auf sieben ägyptische Menschenrechtsorganisationen wird einmal mehr deutlich wie wenig Klarheit darüber herrscht, ob ägyptische Behörden das im Rahmen der Ausbilungshilfen vermittelte Wissen für Repressalien gegen Zivilgesellschaft und Opposition missbrauchen. Zwar ist weiter unklar, wer für die Ausspähversuche gegen die sieben Organisationen verantwortlich ist, doch angesichts der Professonalität der koordinierten Angriffe sowie der Tatsache, dass ägyptische Behörden bereits seit Jahren gegen sechs der sieben betroffenen Organisationen gerichtlich vorgehen, deutet alles auf eine Verwicklung ägyptischer Polizei- oder Geheimdienststellen hin.
Unterdessen steht das Thema Migration und Grenzkontrolle ganz oben auf der Tagesordnung des EU-Gipfels in Maltas Hauptstadt Valletta. Die EU machte schon im Vorfeld des Treffens klar, dass die Grenzabschottung im Mittelmeerraum absolute Priorität habe. So will Brüssel die umstrittene Aus- und Fortbildung von Libyens Küstenwache, an der auch die Bundeswehr beteiligt ist, ausbauen, Milliardenbeträge in die Bekämpfung der Fluchtursachen und Schleppernetzwerke investieren und Ägypten, Tunesien und Algerien stärker in Europas Grenzabschottungsregime integrieren. Im Rahmen der Bemühungen Abschiebungen zu beschleunigen, wird offenbar auch die Aufweichung des Prinzips der Nicht-Zurückweisung in Betracht gezogen. In einem auf dem Gipfel zirkulierenden Dokument heißt es, die Interpretation des Prinzips der Nicht-Zurückweisung sei eine „komplexe juristische Angelegenheit“, die im Hinblick auf Krisensituationen neu interpretiert werden müsse.
© Sofian Philip Naceur 2017