Ägyptens Militär- und Polizeiapparat wird immer wieder unverhältnismäßige Gewaltanwendung gegen Zivilisten vorgeworfen. Auch extralegale Tötungen wurden den Einsatzkräften zur Last gelegt – ohne jedoch zweifelsfrei bewiesen worden zu sein. Doch das hat sich nun geändert. Denn ein vor rund einer Woche im Internet veröffentlichtes Video scheint derlei Vorwürfe nun erstmals mit augenscheinlich authentischem Bildmaterial zu bestätigen (erschienen in junge Welt am 25.4.2017).
Das offenbar mit einer Handykamera im Norden der ägyptischen Sinaihalbinsel nahe der Grenze zu Israel aufgenommene zweiminütige Video zeigt die kaltblütige Hinrichtung zweier junger Männer durch uniformierte Soldaten. Es zeigt wie einer der Männer von einem Soldaten ins Bild gezerrt und in ägyptischem Arabisch mit einem auf dem Sinai verbreiteten Dialekt nach seiner Herkunft befragt und daraufhin zum Hinknien gezwungen wird. Ein weiterer Uniformierter reißt dem Mann danach eine Augenbinde vom Kopf und feuert mit einer automatischen Waffe auf den Mann, bevor auch ein zweiter Soldat abdrückt. Das Video zeigt sechs weitere leblos am Boden liegende Körper und einen Humvee, ein von den USA nach Ägypten geliefertes Armeefahrzeug.
Mehrere Tage nach Veröffentlichung des Videos durch den der in Ägypten als Terrororganisation eingestuften Muslimbruderschaft nahe stehenden Fernsehsender Mekameleen bestätigten die zwei Menschenrechtsorganisationen Amnesty International (AI) und Human Rights Watch (HRW) die Echtheit der Aufnahmen. Nach Angaben der beiden Organisationen und des Internetportals Sinai24 handelt es sich bei den Opfern um den 16jährigen Abdel Hadi Sabri und dessen 19jährigen Bruder Dawoud Sabri, die im Juli 2016 in der Stadt Rafah verhaftet wurden und seither als verschwunden galten. AI und HRW verglichen das Video mit von Ägyptens Armee im November veröffentlichten Bildern und Stellungnahmen, in denen offenbar dieselben Männer als während einer Razzia getötete Terroristen bezeichnet werden. Während die regierungsnahe Internetseite Youm7 das neue Video als Fälschung entlarvt haben will, vermuten AI und HRW, dass die Razzia inszeniert wurde.
Ägyptens Sicherheitsapparat kämpft im Nordsinai bereits seit 2013 gegen islamistische Milizen, die sich dem Islamischen Staat (IS) angeschlossen haben. Während Ägyptens Armee vorgeworfen wird, immer wieder unbeteiligte Zivilisten verhaftet und getötet zu haben, attackiert der lokale IS-Ableger regelmäßig die Zivilbevölkerung im Nordsinai und richtete mehrfach Menschen für ihre angebliche Kollaboration mit ägyptischen Behörden hin.
Erst am Wochenende wurden Proteste lokaler Stammesvertreter aus Al-Arish, der größten Stadt im Nordsinai, gemeldet. Zu den Hintergründen der Auseinandersetzungen kursieren widersprüchliche Angaben. Während der englischsprachige Ableger der Tageszeitung Al-Masry Al-Youm, der Egypt Independent, von Ausschreitungen zwischen Stammesvertretern und der IS-Miliz berichtet, schreibt die Zeitung Daily News, die Proteste richteten sich gegen den Sicherheitsapparat. Diesem sei nach der Entführung mehrerer Stammesältester durch den IS vorgeworfen worden, die Sicherheit in der Region nicht ausreichend sicherzustellen.
Seit Veröffentlichung des Hinrichtungsvideos werden derweil Forderungen nach einem sofortigen Ende der internationalen Unterstützung für Ägyptens Anti-Terror-Krieg laut. AI und HRW riefen in zwei Stellungnahmen diejenigen Regierungen, die Ägyptens Armee mit Waffen, Ausrüstung oder Trainingsmaßnahmen unterstützen, dazu auf, dies unverzüglich einzustellen. Die US-Regierung ist mit jährlichen Militärhilfen in Höhe von 1,3 Milliarden Dollar Ägyptens größter Waffenlieferant. Doch auch Russland und Frankreich unterstützen Ägyptens Anti-Terror-Kampf mit Rüstungshilfen während letzte Woche das erste von insgesamt vier bestellten U-Booten aus deutscher Produktion in Alexandria vorgeführt wurde. Die deutsche Bundesregierung intensivierte zuletzt ihre Bemühungen um eine Ausweitung der Kooperation im Anti-Terror-Kampf mit Kairo.
© Sofian Philip Naceur 2017