Der Bau eines Megastaudamms in Äthiopien sorgt für Zündstoff in Ostafrika. Militärische Drohgebärden und undurchsichtige Allianzen gefährden eine diplomatische Lösung der Krise. Auch der türkische Präsident Erdogan mischt mit (erschienen bei n-tv am 4.3.2018).
Mit fast 1,8 Kilometern Länge und einer Höhe von 155 Metern wird der 3,4 Milliarden Euro teure Great Ethiopian Renaissance Dam (GERD) bei seiner geplanten Fertigstellung Ende 2019 der größte Staudamm Afrikas sein. Mit der im Norden Äthiopiens am Oberlauf des Blauen Nils unweit der Grenze zum Sudan gelegenen Talsperre und zweier daran angeschlossener Wasserkraftwerke will die Regierung in Addis Abeba die Stromproduktion des Landes vervielfachen und damit die Industrialisierung und wirtschaftliche Entwicklung der äthiopischen Volkswirtschaft vorantreiben.
Doch der Staudamm ist nicht nur aus ökologischen Gründen höchst umstritten, sondern sorgt in der Region bereits seit Jahren für politische Spannungen. Vor allem Ägypten blickt misstrauisch auf das Megaprojekt, denn die Füllung des vor der Talsperre gelegenen Stausees droht Ägyptens Wasserversorgung über mehrere Jahre hinweg drastisch einzuschränken.
Das fast ausschließlich aus unfruchtbarer Wüste bestehende Land deckt mehr als 95 Prozent seiner Wasserversorgung aus dem Nil ab. Zwar investierte die ägyptische Regierung zuletzt verstärkt in Meerwasserentsalzungsanlagen und zieht eine intensivere Nutzung von Grundwasserreserven in Betracht, doch Ägyptens Abhängigkeit vom Nil ist eine unumstößliche Realität. Der 7000 Kilometer lange Fluss gilt nicht umsonst als unersetzliche Lebensader des Landes.
Entsprechend stößt der GERD in Kairo auf erheblichen Widerstand. Die Regierung in Addis Abeba versicherte zwar, sie werde kein Wasser zur landwirtschaftlichen Bewässerung abzweigen und damit die Wasserversorgung Sudans und Ägyptens einschränken. Doch vor allem in Kairo ist man nicht ohne Grund besorgt. Zentraler Streitpunkt ist das Aufstauen des Stausees, der bis zu 74 Milliarden Kubikmeter Wasser fassen soll. Das entspricht annähernd der Wassermenge, die jährlich den Nil hinabfließt. Während Addis Abeba mehrfach eine Aufstauphase von nur drei Jahren ins Spiel brachte, setzt Ägypten auf ein behutsameres Vorgehen, um eigene jährliche Wasserverluste so gering wie möglich zu halten. Doch die seit Jahren laufenden Verhandlungen zwischen Äthiopien, Sudan und Ägypten stecken in einer Sackgasse, da sich die drei Staaten nicht auf die Methodik mehrerer technischer Studien zu den wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Folgen des Projektes einigen können, auf deren Grundlage Szenarien für die Füllung des Stausees ausgearbeitet werden sollen.
Diplomatie und militärische Drohgebärden
Die Verhandlungen konnten zwar im Januar nach einem Treffen von Ägyptens Präsident Abdel Fattah Al-Sisi, Sudans Staatschef Omar Al-Bashir und Äthiopiens Premierminister Hailemariam Desalegn in Addis Abeba wieder in Gang gebracht werden. Die politischen Instabilitäten in Äthiopien und Sudan verkomplizieren die Gespräche allerdings. Während der mitten in einer Wirtschaftskrise steckende Sudan durch Subventionskürzungen eine Brotrevolte in der eigenen Bevölkerung auslöste, trat Äthiopiens Premier Hailemariam als Reaktion auf andauernde regierungskritische Proteste im Land Mitte Februar überraschend zurück. Die regierende Parteienkoalition rief daraufhin den Ausnahmezustand aus, kann sich seither aber nicht auf einen neuen Regierungschef einigen und droht zu zerbrechen.
Ägypten wiederum, das angesichts der enger gewordenen Allianz zwischen Addis Abeba und Khartum in den Verhandlungen über den GERD zuletzt in die Defensive gedrängt worden war, versucht seit Hailemariams Rücktritt aus den fortdauernden Instabilitäten im Land politisches Kapital zu schlagen und erhöht den Druck auf Äthiopien. Zuvor hatte die Regierung in Kairo die Verhandlungen geschickt mit wirtschaftlichen und infrastrukturpolitischen Investitionsversprechen verbunden und somit versucht, Äthiopien zu einer langsameren Füllung des Stausees zu bewegen. Ägypten setze auf „vertrauensbildende Maßnahmen“ und „kooperative Beziehungen“ zu Sudan und Äthiopien, denn eine intensivierte wirtschafts- und handelspolitische Integration der drei Länder könne die regionale Kooperation stärken, sagte der Sprecher des ägyptischen Außenministeriums, Ahmed Abu Zeid, n-tv.de.
Ob Ägypten auch in Zukunft derart kompromissbereit auftreten wird, bleibt abzuwarten. Noch 2013 forderten ägyptische Politiker lauthals eine Bombardierung des Staudamms, sollte Äthiopien nicht einlenken. Die Zeiten offener Kriegsdrohungen sind heute eigentlich vorbei, doch Ägypten spielte zuletzt verstärkt mit den Muskeln und flankiert seine Diplomatie durchaus mit militärischen Drohgebärden, die nicht nur mit Äthiopiens Megastaudamm in Verbindung gebracht werden, sondern auch mit der zunehmenden Präsenz der Türkei in der Region.
Erst im Dezember war der türkische Präsident Recep Tayyib Erdogan zu Gast im Sudan und hatte dort mehrere Wirtschaftsabkommen unterzeichnet, aber auch eine befristete Übernahme der kleinen im Roten Meer gelegenen und zum Sudan gehörenden Insel Suakin vereinbart. Ankara will hier nicht nur investieren, sondern die Insel angeblich auch militärisch nutzen, ein Vorhaben, das angesichts der angespannten türkisch-ägyptischen Beziehungen vor allem in Kairo misstrauisch beäugt wird.
Während sich Ägypten angesichts der stockenden Verhandlungen über den GERD und der türkischen Charmeoffensive im Nachbarland Sudan zuletzt verstärkt darum bemüht, seine Beziehungen zu Eritrea und Südsudan auszubauen – zwei Staaten, die mit Äthiopien und Sudan ein mehr als schwieriges Verhältnis haben – halten sich die Gerüchte über die Stationierung ägyptischer Soldaten in einer Militärbasis in Eritrea beharrlich. Ägyptens Regierung dementierte zwar halbherzig, doch auch das erst letzte Woche durchgeführte Militärmanöver der ägyptischen Armee mit französischen Marineverbänden im Roten Meer unterstreichen Ägyptens Ambitionen, seine Interessen in der Region notfalls auch mit militärischen Mitteln zu sichern.
© Sofian Philip Naceur 2018