Korruptionsvorwürfe gegen hochrangige Politiker, Beamte oder Geschäftsleute sorgen regelmäßig für Schlagzeilen in Algerien. Doch die sogenannte „Kokainaffäre“ und die damit in Verbindung stehenden jüngsten Entlassungen im Sicherheitsapparat haben das Zeug, das Land noch Monate oder gar Jahre in Atem zu halten und Algeriens undurchsichtiges Machtgefüge nachhaltig aufzumischen (erschienen in junge Welt am 9.7.2018).
Erst letzte Woche mussten der Sicherheitschef der Provinz Algier, Noureddine Berrachedi, und der Leiter der einflussreichen und vom Militär kontrollierten Gendarmerie, Generalmajor Menad Nuba, überraschend ihre Hüte nehmen. Schon eine Woche zuvor war der Generaldirektor der Landespolizeibehörde DGSN, Abdelghani Hamel, entlassen und durch den bisherigen Chef des Zivilschutzes, Mustafa El-Habiri, ersetzt worden.
Gründe für die Entscheidungen wurden seitens offizieller Stellen nicht genannt. Doch insbesondere Hamels Demission wurde von der algerischen Presse zügig mit dem spektakulären Fund von 701 Kilogramm Kokain im Hafen der Mittelmeerstadt Oran Ende Mai in Verbindung gebracht. Das in einem Container mit tiefgefrorenem Fleisch versteckte Kokain war per Schiff von Brasilien mit Zwischenstopp in der spanischen Hafenstadt Valencia nach Algerien transportiert und hier von den örtlichen Behörden beschlagnahmt worden. Schon am Folgetag saßen die ersten Verdächtigen hinter Gittern, darunter auch der algerische Geschäftsmann Kamal Chikhi, für dessen Firma Dunya Meat der betroffene Container bestimmt war. Der in Algeriens Presse meist nur „der Fleischer“ genannte Chikhi und vier weitere Verdächtige müssen sich nun wegen Drogenhandel, -import und -vertrieb, aber auch Geldwäsche verantworten, beteuern aber bisher ihre Unschuld.
Pikant an der Personalie sind vor allem Chikhis Kontakte zu hochrangigen Politikern und Beamten. Mehrere beschlagnahmte Datenträger enthalten offenbar kompromittierende Videoaufnahmen von Treffen Chikhis mit algerischen Offiziellen. Schon im Juni wurden drei Richter am Flughafen von Oran aufgrund angeblicher Verwicklungen in die Affäre verhaftet. Doch auch Staatsanwälte und Bürgermeister und gar Kinder hochrangiger Politiker werden mit dem Fall in Verbindung gebracht.
Entsprechend provokant waren die Äußerungen des inzwischen entlassenen Polizeichefs Hamel, der auf einer Pressekonferenz Ende Juni die von Justizministerium und Gendarmerie durchgeführten Voruntersuchungen scharf kritisierte und ihnen Regelverstöße attestierte. Doch vor allem ein Satz des seit 2010 amtierenden Polizeichefs sorgte für Furore: „Wer Korruption bekämpfen will, muss selber sauber sein,“ hatte er erklärt. Am Tag nach dieser Stellungnahme war Hamel seinen Job los.
Überraschend sei es derweil, wie offen algerische Offizielle mit dem Fall in Verbindung gebracht werden, meint Matthew Herbert, Forschungsstipendiat der Global Initiative Against Transnational Organized Crime. „Normalerweise bleiben solche Affären eher im Verborgenen“, so der Experte für Drogenschmuggel in der Region gegenüber jW. Daher müsse betont werden, dass der Fall mit den Machtkämpfen zwischen den verschiedenen Clans des Regimes in Zusammenhang stehen könnte, denn im Frühjahr 2019 stehen Präsidentschaftswahlen an.
Die schiere Menge an Kokain, die im Mai in Oran gefunden wurde, impliziere zudem, dass es sich keineswegs um eine neue Route handele. „Man testet keine Route mit 700 Kilogramm“, so Herbert. Entsprechend wirft der Fund auch ein Schlaglicht auf Nordafrika in Sachen Drogenhandel. Die jahrelang genutzte Route, bei der Kokain von Südamerika nach Westafrika verschifft wurde bevor Schmuggler es quer durch die Sahara nach Nordafrika transportierten, gilt angesichts der massiven Präsenz ausländischer Anti-Terror-Einheiten in den Sahal-Staaten Mali und Niger inzwischen als zu unsicher. Entsprechend weichen Schmuggler auf neue Routen aus und steuern offenbar Nordafrika vermehrt direkt an. Die Zunahme an Kokainfunden in Nordafrika deute daraufhin, glaubt Herbert.
© Sofian Philip Naceur 2018