In der Nacht auf Dienstag sind in Ägyptens Hauptstadt Kairo bei Zusammenstößen zwischen Sicherheitskräften und Anhägern des gestürzten Präsidenten Mohamed Mursi sieben Menschen getötet und rund 260 verletzt worden. Die Muslimbrüder mobilisieren verstärkt ihre Anhängerschaft und fordern die Widereinsetzung Mursis als Staatspräsident. Während die Proteste in Nasr City weitgehend ruhig blieben, versuchten Demonstranten eine Nil-Brücke zu blockieren und lieferten sich am Ramses-Platz und in Kairos Innenstadt stundenlange Straßenschlachten mit den Sicherheitskräften. Die Ausschreitungen brachen aus nachdem Sicherheitskräfte Tränengasgranaten einsetzten, um die Demonstranten von der Brücke zu vertreiben. Noch am Vortag hatte das Innenministerium die Gefolgschaft Mursis eindringlich davor gewarnt „die öffentliche Ordnung zu stören“ (erschienen in Junge Welt vom 16.7.2013).
Auch in Alexandria protestierten die Muslimbrüder gegen die Absetzung Mursis und ihre faktische Entmachtung und zogen vor das US-Konsulat. Die Ausschreitungen überschatteten den Besuch von US-Vizeaußenminister William Burns in Kairo, der ersten Visite eines hochrangigen US-Diplomaten in Ägypten seit Mursis Absetzung vor zwei Wochen. Burns führte Gespräche mit Übergangspräsident Adly Mansour, dem frisch ernannten Premierminister Hazem Beblawi sowie dem neuen starken Mann in Kairo Verteidigungsminister Abdel Fattah Al-Sisi. Treffen mit Vertretern der Bruderschaft oder ihres politischen Arms, der Partei für Freiheit und Gerechtigkeit (FJP), fanden nach offiziellen Angaben nicht statt. Burns betonte die USA würden ein „stabiles, demokratisches und tolerantes“ Ägypten auch weiterhin unterstützen.
Währenddessen nimmt die Bildung einer Übergangsregierung in Ägypten Formen an. Das Tauziehen um den Posten des Premierministers hatte zum vorläufigen Austritt der salafistischen Partei „Das Licht“ aus den Verhandlungen geführt und den Weg frei gemacht für eine wirtschaftsliberale Interimsregierung unter Beblawi. Der 77jährige Sozialdemokrat gilt als ausgewiesener Wirtschaftsexperte, arbeitete für den Arabischen Währungsfond in Abu Dhabi und war 2011 kurzzeitig Finanzminister. Neuer Finanzminister wird der langjährige Mitarbeiter der Weltbank Ahmed Galal. Im Gespräch für den Posten war auch Hany Kadri, Chefunterhändler bei den Verhandlungen mit dem Internationalen Währungsfonds (IWF) über einen 4,8 Milliarden US-Dollar Kredit, der Ägypten aus der Wirtschaftskrise helfen soll. Der umstrittene Kredit ist an umfassende Bedingungen geknüpft, unter anderem die Streichung von Subventionen auf Brot und Treibstoffe, die für rund ein Drittel der ägyptischen Bevölkerung überlebenswichtig sind. Die Verhandlungen laufen bereits seit zwei Jahren und könnten durch die Einsetzung einer wirtschaftsliberalen Regierung widerstandsfreier abgeschlossen werden.
Ashraf El-Arabi, Anwärter auf den Posten des neuen Planungsministers, sagte am Montag es sei unwahrscheinlich, dass der IWF-Kredit noch 2013 zustande komme, betonte jedoch die Verhandlungen sollten fortgesetzt werden. Zudem reagierten die Vereinigten Arabischen Emirate und Saudi-Arabien auf Mursis Absetzung und sagten umfassende Finanzhilfen für Kairos Übergangsregierung zu. Beide Staaten stehen den Muslimbrüdern skeptisch gegenüber. Von einer an den IWF-Kredit gekoppelten Öffnung des ägyptischen Marktes würde vor allem Saudi-Arabien profitieren, Riad versucht daher offenbar die wirtschaftliche Stabilisierung Ägyptens zu stützen. Die Ernennung des in Europa und den USA gut vernetzten Mohamed El-Baradeis, dem ehemaligen Chef der Internationalen Atomenergiebehörde, zum Vizeaußenminister ermöglicht der neuen Regierung in Kairo zudem ihre Kontakte zum Westen zu verbessern.
Die Muslimbrüder werden derweil an den Rand gedrängt. Nach der Verhaftung von Führungskader der FJP ordnete die Generalstaatsanwaltschaft an das Vermögen von führenden Funktionären der Bruderschaft und der FJP einzufrieren. In Ägyptens Staatsmedien wird zudem kaum noch über die Proteste der Mursi-Anhänger berichtet. Mursi hatte zu Beginn seiner Amtszeit Posten im Staatsrundfunk mit Getreuen besetzt. Das Militär hat auch hier die Zügel in der Hand, die Mursi-kritische Berichterstattung im Staatsrundfunk seit seiner Absetzung scheint auf Weisung von oben erfolgt zu sein.
© Sofian Philip Naceur 2013