Ägyptens autoritär regierender Staatspräsident Abdel Fattah Al-Sisi wird heute für einen dreitägigen Besuch in Berlin erwartet. Trotz massiver Kritik an der Deutschland-Visite des Despoten vom Nil aus den Reihen der Opposition, aber auch von Parteikollegen von Bundeskanzlerin Angela Merkel, hält die Bundesregierung am geplanten Staatsbesuch Al-Sisis fest und will die wirtschaftliche Zusammenarbeit sowie die Kooperation mit Ägypten in Sicherheits- und Migrationsfragen weiter vorantreiben und festigen. Neben einem Treffen mit Bundespräsident Joachim Gauck und Merkel am Mittwoch stehen insbesondere Gespräche mit Vertretern der deutschen Industrie auf dem Programm des seit rund einem Jahr amtierenden ägyptischen Autokraten (erschienen in Junge Welt am 2.6.2015).
Dabei könnte der Zeitpunkt von Al-Sisis Visite in Berlin fragwürdiger nicht sein. Die Menschenrechtslage im Land ist angespannter denn je. Ägyptens Exekutive und Judikative machen weiterhin regelrecht Jagd auf Oppositionelle aus dem islamistischen und linksliberalen Lager und auch die Zivilgesellschaft im Land steht unter Druck wie selten zuvor. Ägypten sei heute eine „Republik der Angst“, eine Gewaltenteilung gäbe es keine und das Justizsystem sei politisiert und von ägyptischen Sicherheitsorganen dominiert, sagte der Chef der ägyptischen Menschenrechtsorganisation Cairo Instituts for Human Rights Studies Bahey Eldin Hassan im Rahmen einer Sitzung des Menschenrechtsunterausschusses der EU in Brüssel vergangene Woche und brachte das Thema der Menschenrechtslage am Nil damit auch auf EU-Ebene wieder auf die Agenda.
Al-Sisi regiert zudem derzeit faktisch im Alleingang. Ein gewähltes Parlament gibt es nicht und die für März geplanten Legislativwahlen wurden erneut auf unbestimmte Zeit verschoben. Das Regime spielt auf Zeit und nutzt die Gelegenheit zu einer vollständigen Restaurierung der alten Machtverhältnisse im Land und gar einen Ausbau des politischen und wirtschaftlichen Einflusses des Sicherheitsapparates. Gesetze werden faktisch ohne jedwede parlamentarische Kontrolle von Al-Sisi und den von ihm einberufenen Komitees entworfen und in Kraft gesetzt. Der Militär- und Polizeiapparat zieht derweil weiterhin im Hintergrund die Fäden und setzt derzeit auf eine Intensivierung der Kooperation mit der EU. Nach Al-Sisis Amtsantritt im Sommer 2014 standen zunächst die Beziehungen zu Ägyptens Verbündeten auf der arabischen Halbinsel im Fokus der ägyptischen Außenpolitik. Seit Jahresbeginn jedoch verstärkt Kairo seine Bemühungen in Europa politisch wieder Fuß zu fassen. Nach Al-Sisis Staatsbesuchen in Griechenland und Spanien ist der heute beginnende Berlin-Besuch des Autokraten zweifelsohne der wirtschaftspolitisch bedeutsamste.
Ägypten erhofft sich von Al-Sisis Visite an der Spree vor allem Impulse für seine seit Beginn der ägyptischen Revolution 2011 am Boden liegende Wirtschaft. Doch auch führende deutsche Unternehmen setzen wieder vermehrt auf Ägypten als Investitionsland und wollen nach vier turbulenten und politisch instabilen Jahren ihre Aktivitäten am Nil stark ausbauen. Al-Sisis Besuch in der deutschen Hauptstadt sei der Höhepunkt des Jahres, sagte der Vorsitzende der Deutsch-Arabischen Industrie- und Handelskammer in Kairo Ulrich Huth der ägyptischen Tageszeitung Daily News Egypt und fügte hinzu, das Hauptziel sei es derzeit Ägypten wieder in den Fokus der deutsche Industrie zu rücken. Wirtschaftspolitische Fragen dürften daher bestimmend sein bei den geplanten Konsultationen ägyptischer und deutscher Offizieller und Vertretern der Privatwirtschaft.
Dabei bleiben Investitionen in Ägypten auch weiterhin hochriskant und sind politisch brisant. So zeigte die internationale Investorenkonferenz im ägyptischen Badeort Scharm Al-Scheikh auf der Sinai-Halbinsel im März 2015, dass Ägyptens Regime zwar sehr bemüht dabei ist internationale Geldgeber wieder zurück ins Land zu locken, aber keinerlei erfolgversprechende Rezepte vorzuweisen hat das Land politisch, sozial und wirtschaftlich zu stabilisieren und zu befrieden. Im Norden der Sinai-Halbinsel operierende gewaltbereite Extremistengruppen haben ihre Aktivitäten inzwischen auf das gesamte Land ausgedehnt und verüben regelmäßig Bombenanschläge auf Einrichtungen von Polizei und Militär und die Menschenrechtslage bleibt katastrophal. Deutschland verhandelt dennoch weiter mit Ägypten über einen Ausbau der polizeilichen Kooperation und will seine Zusammenarbeit in den Bereichen Terrorismus- und Kriminalitätsbekämpfung ausweiten. Berlin geht es dabei auch um eine stärkere Einbindung Ägyptens in die Bemühungen der EU die so genannte illegale Migration über das Mittelmeer einzudämmen. Wie so oft setzt die Bundesregierung im Umgang mit den autokratisch regierten Staaten Nordafrikas also auch im Falle Ägyptens auf Pragmatismus. Menschenrechte werden zugunsten Deutschlands Wirtschafts- und Sicherheitsinteressen hinten angestellt.
© Sofian Philip Naceur 2015