Anschlagswelle auf Ägyptens Sinai-Halbinsel

Bei heftigen Gefechten zwischen militanten Extremisten und der ägyptischen Armee sind am Mittwoch auf der Sinai-Halbinsel nach offiziellen Zahlen mindestens 117 Menschen getötet worden. Im Morgengrauen hatten schwer bewaffnete Militante rund ein Dutzend Checkpoints der Armee im Norden des Sinai nahe der Städte Scheikh Zuweid und Rafah angegriffen. Erst spät am Abend verkündete die Armee die Lage wieder unter Kontrolle zu haben. Die zumeist im Nord-Sinai operierende Terrorgruppe Ansar Beit Al-Maqdis, die sich im Herbst in „Löwen des Kalifats der Provinz Sinai“ umbenannte und dem Islamischen Staat (IS) in Syrien und Irak die Treue schwor, bekannte sich in einer Internetbotschaft zu den Angriffen (erschienen in Junge Welt am 3.7.2015).

Ägyptens Militär sprach in einer Stellungnahme von 100 getöteten Angreifern und 17 toten Soldaten. Lokale Zeitungen berichten hingegen unter Berufung auf Quellen im Sicherheits- und Gesundheitsapparat im Nord-Sinai von mindestens 36 Opfern bei der Armee und 38 auf Seiten der Angreifer. Bei den simultan ausgeführten Attacken sollen mehrere Autobomben gezündet worden sein. Die Armee spricht zudem von drei Selbstmordanschlägen. Auch am Donnerstag blieb die Lage unruhig. Nach Angaben der Armee sollen bei einem Luftangriff nahe Rafah 22 Verdächtige getötet worden sein, die in die Angriffe vom Vortag involviert gewesen sein sollen. Beweise für die Anschuldigungen lieferte das Militär nicht.

Der Norden des Sinai ist schon seit Jahren Schauplatz einer Militäroffensive der ägyptischen Armee gegen Terrormilizen in der Region. Die Zentralregierung in Kairo hatte im Herbst den Notstand über die Provinz verhängt und eine Ausgangssperre ausgerufen. Nächtliche Razzien, Schießereien auf offener Straße und willkürliche Verhaftungen gehören zum Alltag in der Provinz nahe der Grenze zum palästinensischen Gaza-Streifen. Ägyptens Armee besitzt derweil im Nord-Sinai ein Nachrichtenmonopol, Journalisten haben kaum Zugang in die krisengeschüttelte Region. Der Konflikt ist daher zur Propagandaschlacht zwischen Ägyptens IS-Ableger und der Armee verkommen. Die Angaben beider Seiten können nur schwer überprüft werden.

Die Regierung von Premierminister Ibrahim Mehleb verabschiedete derweil noch am Mittwoch ein neues Anti-Terror-Gesetz, dass noch von Staatspräsident Abdel Fattah Al-Sisi unterzeichnet werden muss bevor es in Kraft treten kann. Der Entwurf sieht höhere Strafen für die Durchführung, Planung oder Hilfestellung bei „terroristischen Akten“ und eine Ausweitung der Präventivhaft vor und weitet staatliche Befugnisse bei der Überwachung von Telekommunikation massiv aus. Ägyptische Menschenrechtsgruppen zeigten sich besorgt über das neue Gesetz und warnten eindringlich vor möglichem Missbrauch des Entwurfes.

Das Militärregime in Kairo nutzt die jüngste Anschlagswelle derweil zu Propagandazwecken aus und schreit nach Vergeltung. Schon nach dem spektakulären Autobombenanschlag am Montag auf Generalstaatsanwalt Hisham Barakat zeichnete sich ab, dass das Land vorerst nicht zu Ruhe kommen wird. Anschläge auf Polizei, Armee und Staatseinrichtungen gehören zwar inzwischen zum Alltag am Nil, doch das Attentat auf Barakat war das erste, dem eine zentrale Figur im Machtapparat zum Opfer fiel. Das Attentat und die Gefechte auf dem Sinai dürften das im Land bereits lichterloh brennende Feuer weiter anfachen. Die Fronten zwischen dem oppositionellen islamistischen Lager rund um die 2013 entmachtete und heute als Terrorvereinigung deklarierte Muslimbruderschaft und dem Militärregime in Kairo verhärten sich damit erneut massiv.

Neuen Zündstoff in dem Konflikt dürfte auch die Ermordung von 13 Mitgliedern der Muslimbruderschaft in der Nähe Kairos am Mittwoch liefern. Sicherheitskräfte hatten ein Treffen der Organisation gestürmt und 13 Menschen erschossen. Während die Behörden mitteilten man sei gegen eine bewaffnete Zelle vorgegangen, die weitere Anschläge geplant habe, verurteilte die Bruderschaft die Vorfälle aufs Schärfste und betonte die Erschossenen seien unbewaffnet gewesen. In eine Stellungnahme drohte die Organisation mit Folgen.

© Sofian Philip Naceur 2015

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