Mit dem Ausbau der unersetzbaren Wasserstraße will das Regime in Kairo seine Wirtschaft stabilisieren und mittels massiver Staatspropaganda seine Herrschaft am Nil festigen
Nach nur einem Jahr Bauzeit will Ägypten am Donnerstag offiziell den neuen Suezkanal eröffnen. Ägyptens Staatspräsident Abdel Fattah al-Sisi erhofft sich von dem Projekt starke Impulse für die am Boden liegende Wirtschaft und schlachtet die Einhaltung der geplanten Bauzeit propagandistisch aus. Die Vorbereitungen für die feierliche Eröffnungszeremonie in der Stadt Ismaelija an den Ufern des Kanals östlich der Hauptstadt Kairo laufen schon seit Wochen auf Hochtouren. In Kairo werden für die Videoübertragung der Zeremonie öffentliche Plätze und Regierungsgebäude mit überdimensionalen ägyptischen Nationalflaggen geschmückt. Der Tahrir-Platz im Herzen der Stadt, dem Symbol für Ägyptens Revolution 2011, erstrahlt in neuem Glanz. Renovierte Bürgersteige, frisch gestrichene Hausfassaden, Girlanden und Blumenbeete in der Mitte des Platzes lassen vergessen, dass der Tahrir zuvor nur eine schmucklose, graue Hauptverkehrskreuzung war (erschienen bei n-tv Online am 6.8.2015).
Auf neu installierten Videoleinwänden an den Hauptstraßen der Stadt flimmern ununterbrochen Videos von der erfolgreichen Testfahrt dreier Containerschiffe im neuen Kanalbett über die Mattscheiben und Ägyptens Presse kennt kein anderes Thema mehr. Es wird vom „Jahrhundertbau“ gesprochen. Der Kanal sei Ausdruck der wiedererlangten nationalen Stärke Ägyptens und werde der Wirtschaft des Landes auf die Beine helfen. Admiral Mohab Mamish, Chef der für den Kanalbetrieb zuständigen und defacto vom Militär kontrollierten Suez Canal Authority (SCA), setzte den Kanalausbau auf einer Pressekonferenz letzte Woche in Ismaelija mit übertriebenen Pathos gar mit dem Übergang des Landes von der Dunkelheit ins Licht gleich.
Doch kann der Kanal wirklich das liefern was sich Regierung und Präsident vom Ausbau versprechen? Kairo hofft auf eine Steigerung der jährlichen Einnahmen aus dem Kanal von derzeit rund 5,3 Milliarden US-Dollar auf über 13 Milliarden und eine Verdoppelung der den Kanal passierenden Schiffe bis zum Jahr 2023. Die an den Ufern des Kanal geplante Sonderwirtschaftszone soll bis zu einer Million neuer Jobs schaffen, heißt es. Doch Zweifel sind angebracht, liegen der Öffentlichkeit doch keinerlei Informationen oder Studien zur Wirtschaftlichkeit des Projektes vor, sagt Dr. Amr Adly vom Carnegie Middle East Center in Beirut. Auch der Nachrichten- und Wirtschaftsdienstleister Bloomberg zeigt sich betont skeptisch über die Erwartungen der Regierung. Der Welthandel müsse jährliche Wachstumsraten von neun Prozent erreichen, damit sich Kairos Berechnungen erfüllen, heißt es auf der Website von Bloomberg. Die Anzahl der Schiffe, die den Suezkanal passieren, liege zudem 20 Prozent unter dem Wert von 2008. Der Kanal ist nicht ausgelastet. Wie Ägypten daher in nur neun Jahren die Kanaleinnahmen um rund 260 Prozent steigern will, bleibt rätselhaft.
Die politische Propaganda rund um die Kanaleröffnung sucht derweil ihresgleichen. Dem Regime geht es dabei offenbar vor allem um politische Legitimität. „Das Regime muss der Öffentlichkeit dringend beweisen, dass es in der Lage ist zu handeln. Es versucht zu zeigen, dass es im Vergleich zu der von ihm im Juli 2013 gestürzten Muslimbruderschaft, aber auch im Vergleich zu dem 2011 entmachteten Expräsidenten Hosni Mubarak, in der Lage ist Projekte umzusetzen. Das Regime will den Eindruck vermitteln es sei weniger korrupt als Mubarak, effektiver als Mubarak und technologisch fortschrittlicher als Mubarak“, meint Adly.
Die Baustelle nahe Ismaelija hingegen ist beeindruckend. „Vor einem Jahr war hier nichts als Wüste“, erzählt Mohamed, ein Dockarbeiter der SCA. Heute ist die neue Fahrrinne ausgehoben. Dutzende Bagger säumen die Ufer der neuen Wasserstraße, die es zukünftig erlauben soll den bisher nur einspurig befahrbaren Kanal in beide Richtungen gleichzeitig zu nutzen. Baggerschiffe belgischer und holländischer Unternehmen heben weiterhin ununterbrochen das Kanalbett aus. Derweil versucht die Regierung den Anschein von Sicherheit zu vermitteln. Soldaten und Panzer dominieren das Stadtbild von Ismaelija. Die Stadt gleicht einer Kaserne. Die gesamte Kanalzone ist Sperrgebiet. Ägyptens Armee hat hier das Sagen. Doch das sicherheitspolitische Umfeld des Kanals bleibt fragil. Im Nord-Sinai unweit des Kanals tobt seit fast drei Jahren ein Krieg zwischen Ägyptens Militär und radikalen Extremisten. Kairo versucht zu beschwichtigen, doch der Raketenangriff der Radikalislamisten auf ein ägyptischen Kriegsschiff im Mittelmeer vor rund drei Wochen sei „alarmierend“, so ein Mitarbeiter einer ägyptischen Menschenrechtsorganisation, der anonym bleiben will.
Was Ägypten mit dem Kanalausbau auf jeden Fall erreicht, egal ob die Einnahmen steigen oder nicht, ist die Absicherung internationaler Abhängigkeiten. Der Westen, aber ebenso Russland und China, haben Interesse an einem reibungslos geölten Handelsweg durch den Kanal – und guten Beziehungen zu den Machthabern in Kairo. Entsprechend wird al-Sisi hofiert. Die USA lieferten pünktlich zur Zeremonie in Ismaelija acht F-16 Kampfjets. Auch Frankreich lieferte Kampfflugzeuge und eine Fregatte. Deutschland bildet Ägyptens Polizei aus und schickt Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel zur Eröffnungszeremonie nach Ismaelija. In den letzten zwölf Monaten reiste al-Sisi zu Staatsbesuchen nach Spanien, Frankreich, Deutschland, Griechenland, Italien und Zypern und signierte dabei vor allem sicherheitspolitische Kooperationsabkommen. Und das trotz einer anhaltend katastrophalen Menschenrechtslage, einer teils absurd arbeitenden Justizund der Tatsache, dass das Land auch zwei Jahre nach dem Sturz des islamistischen Expräsidenten Ägyptens Mohamed Mursi noch immer kein Parlament gewählt hat und Al-Sisi faktisch im Alleingang regiert. Der Ausbau des Suezkanal soll vor allem Ägyptens geopolitische Position stärken und das Ansehen des Militärs im Ausland restaurieren. Inwiefern der Kanal positive Effekte auf Ägyptens Wirtschaftsleistung haben wird, steht in den Sternen.
© Sofian Philip Naceur 2015