Symbolpolitik in Ägypten

Präsident al-Sisi versprach dem Volk eine zügige Erholung der Wirtschaft und ein Ende des islamistischen Terrors. Beides ist ausgeblieben. Nun weicht er auf Symbolpolitik aus.

In einer pompösen Zeremonie in Ismaelija östlich von Kairo feierte Ägypten am 6. August die fristgerechte Fertigstellung des neuen Suezkanals. Die Bauzeit des Megaprojekts, einer 35 Kilometer langen zweiten Fahrrinne und der Erweiterung des alten Kanals, betrug weniger als ein Jahr. Das autoritäre Regierung von Präsident Abdel Fattah al-Sisi hofft damit, bis 2023 die Einnahmen der Kanalgebühren von derzeit 5,3 Milliarden US-Dollar auf 13,2 Milliarden pro Jahr zu steigern. Doch BeobachterInnen bezweifeln die optimistischen Erwartungen des Regimes (erschienen in Die Wochenzeitung am 20.8.2015).

Der Chef der Suez Canal Authority, Mohab Mamish, betitelt das Projekt als «Ägyptens Geschenk an die Welt» – der Nachrichtendienstleister Bloomberg hingegen als «Kanal, den die Welt vielleicht nicht braucht». Zweifellos ist sich das Regime bewusst, dass seine veröffentlichten Prognosen zur Wirtschaftlichkeit des Projekts unrealistisch sind. Dennoch setzte es auf eine zügige Umsetzung des volkswirtschaftlich umstrittenen Kanalausbaus. Und das aus gutem Grund: Schliesslich geht es al-Sisi hier weniger um die Rettung der am Boden liegenden Wirtschaft des Landes, sondern um Symbolpolitik, um von dem eigentlichen politischen Versagen abzulenken.

Barakat statt Rabaa

Schon seit dem Militärputsch und der Entmachtung von Expräsident Mohamed Mursi im Juli 2013 ist die wieder an den Hebeln der Macht sitzende Armee bemüht, eigene Errungenschaften hervorzuheben. Die Regierung sei unter enormem Druck, endlich Erfolge vorzuweisen, sagt der ägyptische Sozialwissenschaftler Amr Adly vom Carnegie Middle East Center: «Al-Sisi muss der Öffentlichkeit dringend beweisen, dass er in der Lage ist zu handeln.» Er versuche nun zu zeigen, dass er fähig ist, für die Bevölkerung nützliche Projekte auch wirklich umzusetzen – anders als die vom Militär gestürzten Muslimbrüder, aber auch anders als der 2011 entmachtete Expräsident Hosni Mubarak. «Das Regime will den Eindruck vermitteln, weniger korrupt, effektiver und technologisch fortschrittlicher als Mubarak zu sein», sagt Adly. Al-Sisi hatte dem Volk nach der Machtübernahme nichts weniger als eine zügige Erholung der Wirtschaft und ein Ende des islamistischen Terrors im Land versprochen. Beides blieb aus.

Um ihre militärfreundlichen Narrative zu verankern, deuten Armee und Staat Symbole der Revolte von 2011 und des Sturzes der Muslimbruderschaft von 2013 auf ihre Weise um. Im Juli verkündete die Regierung die Umbenennung des Kairoer Rabaa-Platzes in Barakat-Platz, nach dem kurz zuvor bei einem Bombenanschlag getöteten Generalstaatsanwalt Hisham Barakat. Der Rabaa-Platz ist für die Muslimbruderschaft ein Symbol für illegitime Staatsgewalt, wurde doch hier im August 2013 ein Protestlager der IslamistInnen mit roher Gewalt dem Erdboden gleichgemacht; rund tausend Menschen wurden dabei getötet. Barakat war derweil federführend bei der strafrechtlichen Verfolgung der IslamistInnen. Die Umbenennung soll den Platz zum Symbol für den Kampf des Regimes gegen die Bruderschaft machen.

Gentrifizierung der Innenstadt

Auch die Kairoer Innenstadt ist derzeit Schauplatz von Symbolpolitik. Sichtbarstes Zeichen dessen ist der Abriss des früheren Hauptsitzes der Nationaldemokratischen Partei (NDP), der Partei Mubaraks. Das Gebäude nahe des Tahrir-Platzes brannte während der Revolution im Frühjahr 2011 aus und thront heute wie ein Mahnmal über dem Platz. Dieses Symbol soll weg. Überhaupt treibt das Regime derzeit die Gentrifizierung der Kairoer Innenstadt massiv voran, ist das Viertel doch symbolisch eng mit der Revolution von 2011 verbunden. Renovierte Hausfassaden am Tahrir, neue Bürgersteige und Ampeln und die rigorose Vertreibung Tausender StrassenhändlerInnen, die nach 2011 die Strassen des Bezirks gefüllt haben, sind nur ein paar der Initiativen der letzten Monate.

«Seit Jahrzehnten erlebt das Viertel einen Zuzug von Menschen aus einkommensschwachen Bevölkerungsschichten», sagt Stadtplaner Omar Nagati. «Sie haben nach und nach die grossbürgerlichen und kulturellen Eliten verdrängt, die wiederum seit den siebziger Jahren vermehrt in ‹besseren› Bezirken siedelten.» Dieser auch als «Degentrifizierung» bezeichnete Vorgang habe sich während der ersten Jahre nach der Revolution 2011 noch intensiviert. Die Staatsmacht versuche nun seit zwei Jahren, den öffentlichen Raum zurückzugewinnen, um ihre Ordnung wieder durchzusetzen. «Die Kairoer Innenstadt ist das Pilotprojekt dafür, auch weil das Viertel eine Art Hinterhof der Revolution ist, ein Symbol für den Aufstand gegen die herrschende Klasse», so Nagati. Die intensivierte Gentrifizierung der Innenstadt geht einher mit der Verfolgung linker und liberaler Oppositioneller, die das Viertel seit der Revolte als Bühne für politische Aktivitäten nutzten.

Doch sowohl Kairos Innenstadt als auch der Suezkanal und der Rabaa-Platz sind nicht nur Symbole für die Versuche der Regierung, Erinnerungen an politische Ereignisse der letzten Jahre umzudeuten. Sie sind vielmehr auch Ausdruck einer politischen Klasse, die kurz nach der völligen Restauration ihrer Privilegien um ebendiese bereits wieder bangen muss. Schliesslich bleiben die Auslöser der Revolution – Perspektivlosigkeit, Armut, staatliche Repression – weiterhin bestehen. Sie bleiben auch weiterhin die Triebfelder für viele politisch Aktive in Ägypten.

© Sofian Philip Naceur 2015

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