Seit der Revolution steckt Ägypten in einer handfesten Wirtschaftskrise. Weder der Militärrat, der das Land bis vor einem Jahr regierte, noch die jetzige Regierung haben die Krise nur ansatzweise in den Griff bekommen. Die Inflation nimmt bedrohliche Ausmaße an, die Wirtschaft stagniert und ist nicht in der Lage die 700.000 jungen Menschen, die jährlich zusätzlich auf den Arbeitsmarkt strömen, zu absorbieren. Haushaltsdefizit und Staatsverschuldung haben Rekordwerte erreicht. Der für Ägyptens Bevölkerung enorm wichtige Tourismussektor liegt am Boden. Rund 15 Prozent der arbeitenden Bevölkerung sind in der Branche beschäftigt. Auch ist der Sektor als Devisenquelle unverzichtbar. Ägyptens Außenhandel wird vor allem in US-Dollar (USD) abgewickelt, daher ist die Regierung auf den Tourismus als Devisenquelle zwingend angewiesen. Während Präsident Mohamed Mursi die Opposition beschuldigt mit ihren Protesten und Streiks das Land zu destabilisieren und die Touristen abzuschrecken, will die Regierung die Alkoholsteuer erhöhen und die salafistische Al-Nour-Partei fordert offen den Ausschank von Alkohol nur noch in Hotels zu erlauben (erschienen am 29.6.2013 in Neues Deutschland).
Ägyptens Währungsreserven sind seit 2011 von 36 auf 13 Milliarden USD im April eingebrochen. Inzwischen sind die Reserven leicht auf 16 Milliarden USD gestiegen, da den Muslimbrüdern nahe stehenden Regierungen aushalfen. Katar stellte 5 Milliarden USD zur Verfügung und will Kairo Staatsanleihen in Höhe von 3 Milliarden USD abkaufen. Libyen überwies ein zinsloses Darlehen von 2 Milliarden USD an die ägyptische Zentralbank. Kreditzusagen und der Erlass von Teilen der ägyptischen Auslandsschulden seitens der Europäischen Union (EU) sind an einen erfolgreichen Abschluss der Verhandlungen über einen 4.8 Milliarden USD schweren Kredit des Internationalen Währungsfonds (IWF) gekoppelt, über den seit fast zwei Jahren verhandelt wird.
Wie beim IWF üblich ist dieser Kredit an Bedingungen geknüpft. Hauptforderung des IWF ist eine strikte Haushaltsdisziplin und die Verringerung der Staatsausgaben, die durch den massiven Abbau der Subventionen auf Treibstoff und Brot erreicht werden soll. Die Brotsubventionen sind jedoch für rund ein Drittel der ägyptischen Bevölkerung überlebenswichtig, da die in den 1980er Jahren begonnene Deregulierung des ägyptischen Marktes zur Verarmung weiter Teile der Bevölkerung führte. Da Ägypten seither verstärkt Agrarprodukte wie Baumwolle für den Weltmarkt produziert, müssen auf dem Binnenmarkt nachgefragte Güter wie Weizen importiert und ob des niedrigen Lohnniveaus subventioniert werden. Ägypten ist der weltweit größte Importeur von Weizen. Seit der Öffnung des ägyptischen Marktes für ausländische Waren überschwemmen EU und USA das Land mit subventionierten Agrarprodukten, mit deren niedrigen Preisen Ägyptens Kleinbauern nicht mithalten können.
Ägypten fördert zudem große Mengen an Erdgas und Erdöl und exportiert dieses nach Jordanien und Israel, während Treibstoffe wie Benzin und Diesel importiert werden müssen, da das Land über keine ausreichende Raffineriekapazität verfügt, um den Bedarf zu decken. Der Import von Weizen und Treibstoff hat Ägyptens Haushalt zuletzt zusätzlich stark belastet, da der Verfall der ägyptischen Währung die Importe teurer macht. Sollte der IWF-Deal zustande kommen – und daran gibt es derzeit wenig Zweifel – wird der Preis für die fiskalpolitische Stabilität Ägypten erneut von den Armen zu zahlen sein. Proteste gegen die Subventionskürzungen sind zu erwarten.
© Sofian Philip Naceur 2013