Nun also doch. Ägyptens Regierung will das Milliardenloch im Staatshaushalt und die Wirtschafts- und Währungskrise im Land mit Krediten vom Internationalen Währungsfond (IWF) in den Griff bekommen. In einer Stellungnahme bestätigte das Kabinett in Kairo bereits letzte Woche laufende Verhandlungen mit dem IWF über Kredite in Höhe von 12 Milliarden US-Dollar, die verteilt über drei Jahre ausgezahlt werden sollen. Insgesamt umfasse das Kreditpaket stolze 21 Milliarden US-Dollar, heißt es. Denn neben den 12 Milliarden vom IWF rechnet Kairo bei einem erfolgreichen Abschluss der Gespräche mit zusätzlichen 4,5 Milliarden US-Dollar aus den Kassen von Weltbank und Afrikanischer Entwicklungsbank und weiteren Mitteln aus dem Verkauf von Staatsanleihen (erschienen in junge Welt am 1.8.2016).
Hintergrund der lange erwarteten Initiative ist die Talfahrt der ägyptischen Wirtschaft, aber auch der eklatante Mangel an harter Währung und das ausufernde Haushaltsdefizit. Das Land kann nur mit Mühe die Rechnungen für dringend benötige Importe begleichen und kämpft mit einem schwindelerregenden Wertverfall des ägyptischen Pfundes (LE) sowie einer Rekordinflation, die im Juni auf fast 15 Prozent im Vergleich zum Vorjahr anstieg. Die Arbeitslosigkeit ist offiziellen Zahlen zufolge bereits auf über 12 Prozent gestiegen – Tendenz steigend.
Während die Zentralbank erfolglos Milliardenbeträge in die Stabilisierung des Pfundes steckte und sich im März gezwungen sah die Währung massiv abzuwerten, haben Unternehmen kaum noch Zugang zu Devisen und damit ernsthafte Probleme ihr Geschäft am Laufen zu halten. Der Schwarzmarkt blüht. Liegt der offizielle Umrechnungskurs für einen Dollar weiterhin bei rund 8,85 LE, zahlten Kunden letzte Woche stolze 13 LE im informellen Handel.
Bislang zeigte sich das Regime von Präsident Abdel Fattah Al-Sisi unfähig dieser Probleme Herr zu werden, agiert aber durchaus einfallsreich dabei, die Zahlungsfähigkeit des Landes aufrechtzuerhalten. So setzte Al-Sisi seit seiner faktischen Machtübernahme im Juli 2013 auf politisch motivierte Hilfszahlungen und Kredite aus Saudi-Arabien und anderen Golfstaaten und sicherte dem Land projektgebundene Kredite aus Russland und Frankreich. Seit die Geldspritzen aus Riad jedoch zunehmend dürftiger ausfallen, steht Kairo unter Zugzwang.
Das Ausbleiben der erhofften Mehreinnahmen aus dem umstrittenen Ausbau des Suezkanals sowie das Fernbleiben der Touristen, die zuvor jährlich mehrere Milliarden US-Dollar ins Land gebracht hatten, kann derweil nicht mehr durch die Hilfen vom Golf kompensiert werden. Auch deshalb ist nun gewiss; Das Abkommen zwischen dem auf neoliberale Reformen setzenden IWF und Ägypten ist kaum noch aufzuhalten. Am Samstag begann in Kairo die abschließende Verhandlungsrunde.
Al-Sisi hofft damit das Vertrauen in die ägyptische Wirtschaft zu erhöhen, erklärte er kurz nach Bekanntwerden der Gespräche und liegt damit voll auf Linie mit der internationalen Finanzbranche. Dieser Deal könne Ägypten Liquidität zuführen und das Vertrauen in die Wirtschaft steigern, betont der Ökonom Mohamed Abu Basha von Ägyptens größter Investmentbank, EFG Hermes, gegenüber dem Medienunternehmen Bloomberg.
Außerhalb des Finanzsektors sorgen die Verhandlungen erwartungsgemäß für Besorgnis. Vor allem die Höhe der Kreditzahlungen sei alarmierend, meint der Wirtschaftswissenschaftler Dr. Amr Adly vom Carnegie Middle East Center in Beirut. Ägyptens Regierung könne versucht sein nach erfolgreichen Verhandlungen mit dem IWF auch an den Finanzmärkten zuzugreifen, um sich dort zusätzlich mit Devisen zu versorgen. „Aber die Mittel aus den Krediten werden nicht investiert, sondern zur Deckung laufender Kosten genutzt. Es fließt nichts zurück“, so Adly. Er bezweifelt daher, dass Ägyptens Wirtschaft je in der Lage sein werde diese Schuldentitel zu bedienen, eine Staatspleite sei nicht auszuschließen.
Auch der Linkspolitiker Mamdouh Habashi von der oppositionellen Sozialistischen Volksallianz moniert, dass die Gelder nicht für Investitionen, sondern zum Stopfen des Haushaltslochs genutzt werden sollen. „Damit schlittert Ägypten unweigerlich in die Schuldenfalle“, meint er. „Im Umgang mit diesen Krediten handelt das Regime unverantwortlich, denn die Zeche werden die nächsten Generationen zahlen“, so Habashi gegenüber jW. „Eine Zusammenarbeit mit dem IWF ist für Länder wie Ägypten sehr schädlich. Die mit diesen Krediten verbundenen Bedingungen sind bekannt, ebenso wie deren wirtschafts- und sozialpolitisch zerstörerische Wirkung“, sagt er.
Noch sind zwar keine Details zu den Bedingungen bekannt, die der IWF an die Vergabe der Kredite knüpfen wird, doch die Staatsführung hat vorgesorgt und in den letzten Jahren bereits unpopuläre Maßnahmen vorangetrieben, die der IWF begrüßen dürften. So strich Kairo die Benzinsubventionen massiv zusammen, setzte die Maßnahme jedoch aufgrund des gesunkenen Preisniveaus für Öl auf dem Weltmarkt vorerst wieder aus. Ein Mehrwertsteuergesetz, dass vorhandene Steuergesetze auf andere Warengruppen ausweiten soll, wird derzeit im Parlament diskutiert. Gleiches gilt für ein neues Gesetz für den öffentlichen Dienst, das Massenentlassungen den Weg bereiten dürfte. Kritiker der Neuregelung befürchten, dass bis zu drei Millionen Menschen ihren Job verlieren – und das bei insgesamt rund sieben Millionen Beschäftigten. Wie so oft treffen die genannten Maßnahmen vor allem einkommensschwächere Haushalte und drohen das soziale Gefälle am Nil noch zusätzlich zu verschärfen.
© Sofian Philip Naceur 2016