Die Kritik an den Vorstößen zu einem möglichen Flüchtlingsabkommen mit der autoritär regierten Militärdiktatur Ägypten bekommt neue Nahrung. Denn in der Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Bundestagsfraktion Bündnis 90/ Die Grünen unter Federführung der beiden Abgeordneten Dr. Franziska Brantner und Luise Amtsberg empfiehlt sich das Land keineswegs als geeigneter und zuverlässiger Partner der EU und Deutschlands in Migrationsfragen (erschienen in junge Welt am 2.12.2016).
Berlin sei über die menschenrechtliche Lage in Ägypten „besorgt“. Ihr seien zahlreiche Fälle von willkürlichen Verhaftungen, von Haft ohne Anklage und von Prozessen, die rechtsstaatlichen Kriterien nicht genügen, bekannt, erklärt die Bundesregierung in ihrem Antworschreiben auf die parlamentarische Anfrage. Zudem gäbe es „glaubhafte Berichte über Folter und Misshandlungen in Polizeigewahrsam.“
Neben derlei Ausführungen zur allgemeinen Menschenrechtslage im Land äußert sich Berlin jedoch auch detailliert zu der Situation von Flüchtlingen und Migranten und erklärt, Ägypten sei gemäß § 29a Absatz 2 des Asylgesetzes nicht als sicherer Herkunftsstaat einzustufen. Auch habe Ägypten die Genfer Flüchtlingskonvention ratifiziert und gewähre grundsätzlich das Asylrecht, verfüge jedoch über kein Asylanerkennungsverfahren und somit auch über keine Asylanerkennungsquote.
Die Bedingungen in ägyptischen Haftanstalten seien zudem – „auch bei gebotener Differenzierung zwischen einzelnen Einrichtungen – insgesamt besorgniserregend, was inhaftierte Migrantinnen und Migranten in gleicher Weise wie andere Inhaftierte betreffen dürfte.“
Berlins Bemerkungen zu den Haftbedingungen im Land seien „angesichts tausender dokumentierter Fälle von Misshandlungen, Folter und Tod noch eine beschönigende Darstellung der Lage, erklärte Brantner in einer Stellungsnahme während Amtsberg auf die rechtswidrigen Abschiebungen sudanesischer Schutzsuchender in den Sudan durch ägyptische Behörden verweist.
Kurz nach der Havarie eines mit rund 500 Menschen völlig überladenen Fischkutters vor der Küste Ägyptens, bei der mindestens 300 Flüchtlinge und Migranten getötet wurden, hatten zahlreiche deutsche Politiker einen Flüchtlingsdeal mit Ägypten gefordert. Neben Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und dem scheidenen Präsidenten des EU-Parlamentes, Martin Schulz (SPD), setzte sich auch Bundesinnenminister Thomas de Maizière zuletzt für eine solche Vereinbarung mit dem Regime von Ägyptens Staatspräsident Abdel Fattah Al-Sisi ein.
Wie de Maizière im Interview mit dem Bericht aus Berlin erklärte, sollten im Mittelmeer gerettete Menschen zunächst „in die Türkei oder nach Ägypten“ zurückgeschickt werden. „Natürlich in menschenwürdige Zustände, gegebenenfalls müssen dort Lager zusammen mit dem UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR gebaut werden“, fügte er hinzu.
Die seit dem Kentern des Bootes vor der ägyptischen Mittelmeerküste Ende September an Fahrt aufnehmende öffentliche Debatte über ein mögliches Abkommen mit Kairo ist derweil insofern irreführend, als das EU und Bundesregierung bereits mit Ägypten in Migrationsfragen kooperieren. Nach längeren Verhandlungen hatten de Maizière und sein ägyptischer Amtskollege Magdy Abdel Ghaffar im Juni in Berlin ein Sicherheitsabkommene signiert, in dessen Rahmen auch Fort- und Ausbilungsmaßnahmen mit migrationspolitischem Bezug durchgeführt werden.
Die Alltagssituation von Flüchtlingen und Migranten am Nil ist unterdessen weiterhin angespannt. Denn während Geflüchtete in Ägypten weitgehend auf sich alleine gestellt sind, von Ägypten keine Arbeitsgenehmigungen erhalten und rechtlich in einem prekären Status ausharren müssen, sind die Kapazitäten der zahlreichen ägyptischen und internationalen Hilfsorganisationen, die Flüchtlinge und Migranten mit medizinischer Versorgung oder Rechtsberatung unterstützen, stark begrenzt. Rassistische Attacken, körperliche Übergriffe und Vergewaltigungen gehören nach Angaben von Hilfsorganisationen für Flüchtlinge und Migranten aus afrikanischen Ländern zum Alltag am Nil.
© Sofian Philip Naceur 2016