Schwerpunkt Migration – Partner oder Erfüllungsgehilfe?

Die Bestrebungen der EU Ägypten enger in die Migrationsabwehr im Mittelmeerraum einzubinden, stoßen in Kairo auf offene Ohren. Während Staatspräsident Abdel Fattah Al-Sisi keine Gelegenheit auslässt das Thema in Gesprächen mit europäischen Offiziellen zur Sprache zu bringen, bereitet sich Ägypten bereits seit 2014 auf eine intensivere migrationspolitische Kooperation mit der EU vor. Neben dem Ausbau der militärischen und polizeilichen Zusammenarbeit mit Brüssel setzt Kairo seither auch verstärkt auf zivile Maßnahmen (erschienen in junge Welt am 20.1.2017).

Neben der Ausweitung entwicklungspolitischer Aktivitäten der EU im Land, bei der die bundeseigene Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) eine Schlüsselrolle spielt, fällt vor allem die Gründung des Nationalen Koordinierungskomitees zur Bekämpfung und Verhinderung von Illegaler Migration (NCCPIM) durch die ägyptische Regierung im März 2014 ins Gewicht. Das NCCPIM unter Leitung der früheren ägyptischen Botschafterin in der Schweiz, Naela Gabr, will dabei die Arbeit der mit Migrationsfragen befassten Ministerien und Regierungsbehörden besser koordinieren.

Wichtigstes Ziel des NCCPIM sei es die Auswirkungen von illegaler Migration zu verringern, sagt Gabr gegenüber jW. „Wir können illegale Migration nicht vollständig stoppen, denn es handelt sich um transnational organisierte Kriminalität, doch man kann den Schaden begrenzen“, zeigt sie sich überzeugt.

Die wesentlichen Aktivitäten des NCCPIM waren zuletzt das Anfertigen von Studien, Erheben von Daten sowie die Durchführung einer Medienkampagne, die Ägypter über die Gefahren illegaler Ausreisen aufklären soll. Denn seit 2016 fliehen vermehrt Menschen aus Ägypten selbst – meist vor dem Hintergrund der anhaltenden Wirtschaftskrise – über das Mittelmeer. Das NCCPIM will dieser beunruhigenden Entwicklung Einhalt gebieten, Alternativen aufzeigen und Anreize schaffen, zu bleiben. Die Zahl illegaler Ausreisen ägyptischer Bürger sei zwar vergleichsweise niedrig, doch die Botschaft entscheidend, so Gabr.

Insbesondere nach dem Bootsunglück vor Rashid östlich von Alexandria im Oktober habe das NCCPIM seine Bemühungen verstärkt, mediale Aufmerksamkeit über die Gefahren von illegaler Migration zu erregen, doch die Hauptkampagne habe noch nicht begonnen. Gabr fordert die EU auf, dem Projekt mit Finanzmitteln unter die Arme zu greifen.

Dabei wurden bereits EU-Fördermittel für das NCCPIM freigegeben, doch ein unter dem Dach des EU-Treuhandfonds für Nordafrika finanziertes Programm steckt fest. Während ein kürzlich von der britischen NGO Statewatch geleaktes EU-Dokument besagt, dass die Implementierung des besagten Programms wegen Verzögerungen auf ägyptischer Seite nicht beginnen konnte, macht Gabr die EU für die Verschleppung verantwortlich. „Es sieht so aus als ob die EU nachträglich Veränderungen an dem Vorschlag gemacht hat mit der Folge, dass ägyptische Behörden erstmal nein gesagt haben“, so Gabr. Sie hofft, dass das Probleme bald gelöst sein wird, bezeichnet den zugesagten Betrag jedoch als „lächerlich gering“. „Wir sind ein Land mit 92 Millionen Einwohnern und wir bekommen 11,5 Millionen Euro?“

Das Programm sieht vor, knapp 10 Millionen Euro in von der GIZ und der italienischen Agentur für Entwicklungskooperation geführte Entwicklungsprojekte zu investieren, um die Existenzgrundlage potentieller Migranten zu verbessern und Bleibeanreize zu schaffen. Die verbleibenden Gelder sollen Regierungsbehörden wie das NCCPIM und die staatliche ägyptische Statistikagentur CAPMAS bei ihrer Arbeit unterstützen.

Immer wieder verweist Gabr auf das neue Anti-Schleusergesetz, das vom NCCPIM entworfen und im Herbst verabschiedet wurde. Das Regelwerk stehe im Einklang mit internationalen Standards und habe höhere Haft- und Geldstrafen für Schleuser eingeführt, heißt es auf der Internetseite des NCCPIM. Irreguläre Migranten würden zudem in dem Gesetz nicht kriminalisiert. Das Gesetz böte Schutz, respektiere die Menschenrechte und beinhalte ein Verbot von Abschiebungen. Letzteres hebt Gabr gesondert hervor. Es gäbe keine Abschiebungen aus Ägypten, nur freiwillige Rückkehrer, versichert sie. „Seit das Gesetz in Kraft getreten ist, sind Abschiebung illegal.“ Von Abschiebungen vor der Annahme des Gesetzes wisse sie nichts. Fragt man bei Hilfsorganisationen nach, entsteht dabei ein anderes Bild von Ägyptens Umgang mit Abschiebungen oder freiwilligen Rückkehrern (Siehe Text unten).

Derweil führt das NCCPIM auch Trainingsprogramme für ägyptische Beamte durch, will zukünftig verstärkt mit afrikanischen Staaten in Ausbildungsfragen kooperieren und präsentiert sich dabei als Einrichtung mit Expertise. Das NCCPIM will ägyptische Staatsanwälte, Richter oder Diplomaten in migrationspolitisch relevanten Feldern ausbilden und auch regional vermehrt Trainings koordinieren. Im November organisierte das Komitee einen Workshop für Offizielle aus Eritrea, Südsudan, Äthiopien und fünf weiterer afrikanischer Staaten zu den Themen Kampf gegen Schleuserkriminalität und illegale Migration. Im Rahmen der Afrikanischen Union wolle das NCCPIM Trainings zu Grenzkontrolle und Grenzmanagement anbieten, so Gabr. „Wir zeigen Ägyptens Expertise dabei auf, mit minimalen Kosten zu koordinieren, ein Gesetz zu entwerfen und Studien durchzuführen“, sagt Gabr. Es wäre wenig überraschend wenn dieses Angebot nicht auch bei der EU auf Interesse stoßen würde, haben diese und ihre Mitgliedsstaaten doch ihrerseits bereits begonnen,die migrationspolitische Verzahnung mit Ägypten voranzutreiben.

Kurzprofil Ägypten: Vom Transit- zum Entsendeland?

Ganze fünf Millionen Flüchtlinge gäbe es in Ägypten. Sie hätten Zugang zum Bildungssystem und zu Gesundheitsleistungen. Das Land unterhalte keine Lager, denn Flüchtlinge würden Seite an Seite mit der Bevölkerung zusammenleben und seien keiner Diskriminierung ausgesetzt. Hilfe aus dem Ausland erhalte das Land jedoch nicht. So beschrieb Ägyptens Staatspräsident Abdel Fattah Al-Sisi während seines Besuches in Portugal im November die Situation von Geflüchteten in seinem Land. Doch die Realität sieht anders aus.

Im September 2016 waren beim Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR) insgesamt 190.486 Flüchtlinge registriert, 117.350 davon aus Syrien. Weitere wichtige Herkunftsländer sind der Sudan, Äthiopien und Eritrea. Schätzungen zur Gesamtanzahl der im Land lebenden Migranten und Flüchtlinge sprechen von 500.000 bis zwei Millionen Menschen. Wie Al-Sisi auf die Zahl fünf Millionen kommt, bleibt nebulös.

Entgegen dessen Behauptung leben Geflüchtete im Land meist in prekären Verhältnissen. Ägypten hat zwar die Genfer Flüchtlingskonvention ratifiziert, führt jedoch trotz des verbrieften Asylrechts in der Verfassung keine Asylanerkennungsverfahren durch und hat daher keine Anerkennungsquote. Die wichtigsten Anlaufstellen für Flüchtlinge im Land sind Hilfsorganisationen, die für einen Teil der Bedürftigen medizinische und psychologische Betreuung, Rechtsberatung und finanzielle Hilfe bereitstellen.

Arbeitsgenehmigungen werden nicht ausgestellt, selbst dann, wenn eine Aufenthaltserlaubnis erteilt wurde. Die Angst vor Abschiebungen bzw. der faktisch erzwungenen „freiwilligen Rückkehr“ ist omnipräsent, wobei es keine offiziellen Angaben zu Rückführungen gibt. Körperliche Übergriffe und rassistische Anfeindungen in der Öffentlichkeit gehören für Flüchtlinge zudem zur Normalität. Auch Vergewaltigungen seien keine Seltenheit, berichten Menschenrechtler.

Während Ägypten jahrzehntelang primär ein Transitland für Flüchtlinge aus Ostafrika war, zählt es inzwischen zu den Entsendeländern, denn seit 2016 wagen vermehrt Ägypter die gefährliche Reise über das Mittelmeer. Die Internationale Organisation für Migration geht von 12.000 Menschen aus, die 2016 von Ägyptens Küsten aus in See gestochen sind. Insgesamt 12.192 Menschen seien 2016 bei dem Versuch verhaftet worden, illegal das Land zu verlassen oder zu betreten, erklärte Ägyptens Armee. Die Zahl inhaftierter Flüchtlinge und Migranten ist mit 4.106 im Vergleich zum Vorjahr um 85 Prozent gestiegen, heißt es beim UNHCR.

© Sofian Philip Naceur 2017

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