Bei den offenbar koordinierten Bombenanschlägen in zwei koptischen Kirchen in Ägypten sind am Sonntag mindestens 46 Menschen getötet und Dutzende verletzt worden. Schon am Vormittag hatte ein Selbstmordattentäter während einer Ostermesse im Inneren einer koptisch-orthodoxen Kirche in Tanta im Nildelta 120 Kilometer nördlich von Kairo nach Angaben des Gesundheitsministeriums 29 Menschen mit in den Tod gerissen und 78 weitere verletzt. Nur Stunden später zündete ein weiterer Angreifer eine Bombe vor einer Kirche in Alexandria und tötete dabei 17 Menschen, darunter vier Polizisten (erschienen in junge Welt vom 11.4.2017).
Die Attentatsserie ist damit der schwerste Anschlag auf Ägyptens koptische Minderheit überhaupt und stellt selbst die blutigen Bombenanschläge auf Kirchen in Alexandria und Kairo im Januar 2011 und Dezember 2016 weit in den Schatten. Die meist auf der Sinaihalbinsel operierende Extremistengruppe Wilayat Sina (Provinz Sinai), die sich 2015 der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) angeschlossen hatte, bekannte sich zu den Angriffen und kündigte weitere Aktionen an.
Ägyptens Staatspräsident Abdel Fattah Al-Sisi ordnete noch am Sonntag das Ausrücken der Armee an, die der Polizei beim Schutz „vitaler Einrichtungen“ unterstützen solle. Der autoritär regierende Staatschef kündigte zudem die Ausrufung eines landesweiten Ausnahmezustandes an, der zunächst für drei Monate in Kraft treten soll sobald die verfassungsrechtlich nötigen Schritte abgeschlossen seien. Ob die Stationierung der Armee im Land und die Ausrufung des Notstandes den Schutz der christlichen Minderheiten am Nil garantieren können, bleibt derweil mehr als fraglich. Schließlich hat der Notstand, der in der vom IS-Terror geplagten Provinz Nordsinai bereits seit 2014 gilt, der Gewalt kein Ende gesetzt, sondern vielmehr zu massivem Unmut der lokalen Bevölkerung gegenüber dem Sicherheitsapparat geführt. Diesem wurden zuletzt immer wieder staatliche Willkür und extralegale Tötungen von Zivilisten vorgeworfen.
Eine mit der Ausrufung des Notstandes verbundene Ausweitung der Kompetenzen von Polizei und Armee droht dabei zudem Unschuldige in die Arme der Straf- und Militärjustiz im Land zu treiben, ist Ägyptens Sicherheitsapparat doch keineswegs für seine Sorgfalt bei der Strafverfolgung bekannt.
Pikant an dem Anschlag auf die Kirche in Tanta ist zudem ein Bericht der Internetzeitung Al-Tahrir. Demnach sei in dem Gotteshaus bereits Ende März eine Bombe entschärft worden. Dass die Kirche ein mögliches Anschlagsziel darstellt, war den ägyptischen Behörden folglich hinlänglich bekannt. Dennoch detonierte der Sprengsatz in Tanta im Inneren der Kirche, während die Polizeikräfte in der Küstenstadt Alexandria dem Attentäter den Zugang zur Kirche verwehrten und ihn damit zwangen seine Bombe außerhalb des voll besetzten Gebäudes zu zünden.
Der Anschlag in Alexandria ist unterdessen insofern aufschlussreich als dass dieser eine strategische Neuausrichtung des IS nahelegt. Das vom Anschlag betroffene Altstadtviertel Mansheia berherbergt in unmittelbarer Nähe zum Anschlagsort eine Polizeiwache und eine Kaserne. Dennoch setzten die Angreifer auf ein weiches Ziel und töteten gezielt christliche Zivilisten, wohlwissend, dass dies dem Regime mehr Schaden zufügen kann als ein weiterer Anschlag auf den Sicherheitsapparat. Das Gros der im Land aktiven militanten Islamistengruppen setzte in der Vergangenheit zumeist auf Angriffe gegen Staatseinrichtungen. Erst Anfang April attackierte die militante Islamistengruppe Lewaa Al-Thawra ein Trainingszentrum der Polizei in Tanta und tötete dabei einen Polizisten, verurteilte die Anschläge vom Sonntag jedoch als „hässlich und sündenvoll“, berichtet die Internetzeitung Mada Masr. Der IS hingegen scheint eine neue Strategie zu verfolgen und sektiererische Gewalt im Land provozieren zu wollen, war die Gruppe doch schon für den Anschlag auf eine Kathedrale in Kairo im Dezember und mehrere gezielte Angriffe auf Kopten im Nordsinai verantwortlich.
© Sofian Philip Naceur 2017