Der Wahlkampf für die anstehenden Parlamentswahlen in Algerien am 4. Mai ist in vollem Gange. Zeitungen und TV-Sender berichten pausenlos, doch die algerische Wählerschaft macht sich keine Illusionen über den Ausgang der Wahl. Währenddessen ist die Zivilgesellschaft des Landes mit ganz anderen Themen beschäftigt. Das Personal der Tageszeitung Liberté hat einen unbefristeten Streik begonnen nachdem die Geschäftsführung sämtliche Gewerkschaftsvertreter der Redaktion entlassen hat und auch im Bildungssektor werden Aktionen vorbereitet. In sozialen Netzwerken sorgt jedoch derzeit vor allem eine Kampagne des Menschenrechtsanwalts Salah Dabouz für Furore (erschienen in junge Welt am 19.4.2017).
Dieser begann am Samstag am Gefängnis von El Harrach, einem Vorort der algerischen Hauptstadt Algier, einen Fußmarsch zum Krankenhaus Ahmed Benadjila im 400 Kilometer entfernten Laghouat im Süden des Landes, um auf die anhaltend angespannte Lage in der Region Mzab aufmerksam zu machen und der Forderung nach der sofortigen Freilassung des inhaftierten Aktivisten Kamaleddine Fekhar Nachdruck zu verleihen. Fekhar war am 9. Juli 2015 in Ghardaïa, einer Stadt im Mzab rund 600 Kilometer südlich von Algier, gemeinsam mit 36 anderen verhaftet worden und sitzt seither im Gefängnis. Die Liste an Vorwürfen gegen ihn umfasst dutzende Anklagepunkte, Kritiker halten das strafrechtliche Vorgehen gegen ihn jedoch als politisch motiviert. Am 3. Januar 2017 trat Fekhar in einen unbefristeten Hungerstreik und befindet sich derzeit im Krankenhaus. Den Hungerstreik wolle er jedoch trotz angeschlagener Gesundheit nicht abbrechen, erklärt sein Anwalt Dabouz.
Mit seinem Fußmarsch will Dabouz Aufmerksamkeit für Fekhar erregen und hofft, dass sich einige Kandidaten für die Parlamentswahl wieder verstärkt dem Fall widmen. Fekhar drohe zu sterben, es müsse schnellstens eine Lösung gefunden werden, so Dabouz gegenüber jW. Der Anwalt und Chef eines Flügels der vor der Spaltung stehenden unabhängigen Algerischen Liga zur Verteidigung der Menschenrechte (LADDH) will mit seiner Aktion zudem auf die inhumanen Haftbedingungen im Gefängnis in Ghardaïa aufmerksam machen und neue Protestmethoden ausprobieren. „Es bringt nicht viel immer neue Stellungnahmen zu veröffentlichen, die Menschen gewöhnen sich dadurch an derlei Missstände. Das normalisiert die Lage, das müssen wir verhindern“, erklärt Dabouz.
Die ersten Etappen des Marsches konnte Dabouz ohne staatliches Eingreifen absolvieren. Mehrfach schlossen sich Mitstreiter aus Solidarität für einige Kilometer an, andere Anwälte und Aktivisten initiierten ebenfalls zeitlich begrenzte Hungerstreiks. Dabouz hofft in rund einer Woche Fekhar im Krankenhaus in Laghouat besuchen zu können.
Fekhars Verhaftung erfolgte wenige Tage nach den gewaltsamen sektiererischen Ausschreitungen in der Region, der damals an nur einem Tag 22 Menschen zum Opfer fielen (jW berichtete). Der Mzab ist eine überwiegend von Berbern der Volksgruppe der Mozabiten bewohnte Region. Sektieriersche Unruhen zwischen Arabern und den dort vom Staat stark benachteiligten Mozabiten erschüttern das zum UNESCO-Weltkulturerbe gehörende Mzab-Tal schon seit 2013. Die Stationierung zusätzlicher Sicherheitskräfte nach den Gewaltexzessen von 2015 haben die Lage vor Ort aber nur oberflächlich beruhigen können. Die Mozabiten werfen der Zentralregierung in Algier vor Araber in der Region zu bevorzugen und die Berber strukturell zu benachteiligen.
Das bestätigt auch Dabouz. Die Probleme im Mzab-Tal seien nicht sozialer Natur. Während Berber in der Region Kabylei östlich von Algier im Staats- und Sicherheitsapparat umfassend repräsentiert seien, würden Posten im Staats-, Sicherheits-, Justiz- und Bildungsapparat im Mzab überwiegend von Arabern besetzt, so Dabouz. Trotz der vornehmlich konservativen Gesellschaft im Mzab setzen sich vor allem progressive Institutionen wie die LADDH und die beiden führenden Berberparteien im Land, RCD (Kulturelle und Demokratische Sammlung) und FFS (Front Sozialistischer Kräfte) für die Belange der Mozabiten ein.
© Sofian Philip Naceur 2017