„Übergangsregierung“ in Algerien eingesetzt

Drei Wochen nach der Parlamentswahl hat Algerien eine neue Regierung. Die seit 1962 durchgehend regierende Nationale Befreiungsfront (FLN) und ihr langjähriger Koalitionspartner Rassemblement National Démocratique (RND) hatten bei der Abstimmung ihre gemeinsame Mehrheit im Unterhaus des Parlamentes behauptet und sind erwartungsgemäß im neuen Kabinett tonangebend. Zwei weitere regimenahe Parteien, die moderat islamistische TAJ und die Algerische Volksbewegung unter den Exministern Amar Ghoul und Amara Benyounès, schlossen sich der Koalition an, stellen jeweils aber nur einen Minister. Die FLN hatte auch den oppositionellen Islamisten der Bewegung für die Gesellschaft und den Frieden (MSP) überraschend eine Regierungsbeteiligung angeboten, doch deren Parteiführung lehnte ab (erschienen in junge Welt am 27.5.2017).

Ein Machtwechsel galt derweil schon vor der Wahl als ausgeschlossen, eine Fortführung der Koalition aus FLN und RND als wahrscheinlich. Dennoch hält die schon Ende letzter Woche von Staatspräsident Abdelaziz Bouteflika (FLN) ernannte neue Regierung einige Überraschungen bereit. Eine Bestätigung des seit 2012 amtierenden Abdelmalek Sellal (FLN) im Amt des Premierministers schien reine Formsache, doch der greise Staatschef berief Bauminister Abdelmajid Tebboune an die Regierungsspitze. Der Technokrat mit FLN-Parteibuch hatte seit 1999 immer wieder Ministerämter bekleidet, war jedoch nie in ein Schlüsselressort berufen worden. Der 72jährige führt fortan ein Kabinett ohne „Schwergewichte“, bilanziert die algerische Internetzeitung Tout sur l’Algérie (TSA).

Nur elf der 27 Minister wurden in ihren Ämtern bestätigt. Zwar verblieben Armeechef und Vizeverteidigungsminister Ahmed Gaid Salah sowie die Minister für Justiz und Inneres auf ihren Posten, doch in allen anderen Schlüsselressorts standen Wechsel an. Bemerkenswert dabei: die Entlassung von Energieminister Noureddine Boutarfa, nahm dieser doch für Algerien an einem Treffen des Erdölkartells OPEC in Wien teil als die Neubesetzung seines Amtes bekanntgegeben wurde. Boutarfa war eine treibende Kraft hinter der jüngst erzielten Einigung der OPEC-Mitglieder auf eine Verlängerung der 2016 beschlossene Produktionsdrosselung. Die Organisation hofft damit den Verfall des Weltmarktpreises für Erdöl zu stoppen und ihren Mitgliedern zumindest kurzfristige Mehreinnahmen zu verschaffen. Algerien ist hochgradig abhängig von seinen Öl- und Gasexporten, strich in den letzten zwei Jahren die Staatsausgaben radikal zusammen und hat mit endemischen sozialen Problemen zu kämpfen.

Boutarfas Demission kommt ebenso unerwartet wie die Abstinenz einflussreicher Regimepolitiker im Kabinett. Weder Ghoul noch Benyounès oder FLN-Größen wie Sellal und der ebenso entlassene Exaußenminister Ramtane Lamamra sitzen auf der Regierungsbank. Auch das RND unter Ahmed Ouyahia konnte keinen seiner Wunschkandidaten durchsetzen und verliert zudem das einflussreiche Industrieministerium an die FLN – trotz starker Sitzgewinne im Parlament.

Man bekomme den Eindruck, als handle es sich um eine Übergangsregierung, kommentiert TSA die jüngsten Personalentscheidungen und spielt damit auf den Kampf um das höchste Staatsamt an. Denn Parlamentswahl und Regierungsbildung galten als richtungweisend für die Präsidentschaftswahl 2019. Eine Kandidatur des gesundheitlich angeschlagenen Bouteflikas gilt als unwahrscheinlich, das Rennen um dessen Nachfolge als eröffnet. Expremier Sellal, der derzeitige Favorit auf den Posten, und der ebenfalls auf das Amt spähende RND-Chef Ouyahia können bis zum Wahlkampfbeginn damit zwar nicht auf die öffentlichkeitswirksamen Vorteile eines Ministeramtes bauen, stehen aber auch nicht in der Schusslinie, wenn das Kabinett im laufenden Jahr unpopuläre Maßnahmen durchsetzen muss. Trotz der angespannten sozialen Lage im Land wird erwartet, dass Tebboune die umstrittene Austeritätspolitik fortsetzen wird.

© Sofian Philip Naceur 2017

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