Regierungs- und Parlamentsvertreter reagierten am Wochenende lautstark und empört zu abermaligen Vorwürfen der US-Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW), ägyptische Polizei- und Geheimdienstmitarbeiter würden systematische Folter gegen Dissidenten einsetzen. Alaa Abed, Vorsitzender des parlamentarischen Menschenrechtskomitees, stritt die Foltervorwürfe kategorisch ab. Alle Einrichtungen, denen die Inspektion der Menschenrechtslage in ägyptischen Gefängnissen gestattet sei, hätten über keinerlei Folterpraxis berichtet, zitiert ihn die staatliche ägyptische Tageszeitung Al-Ahram. Ägyptens stellvertretende Außenministerin Leila Bahaaeddin nannte den HRW-Bericht „hochgradig politisiert“ (erschienen in junge Welt am 15.9.2017).
In einer am Dienstag von der Regierung verschickten Stellungnahme bezweifelt der Präsident des staatlich kontrollierten Nationalen Menschenrechtsrates, Mohamed Fayek, die Glaubwürdigkeit des HRW-Berichtes. Schon 2015 habe der Rat festgestellt, ägyptische Gefängnisse seien frei von systematischer Folter. Das ägyptische Innenministerium habe sich geändert.
Die Vehemenz, mit der ägyptische Regimevertreter den Bericht zurückweisen, überrascht wenig, setzt die Regierung von Präsident Abdel Fattah Al-Sisi doch schon seit Jahren auf eine aggressive Medien- und Öffentlichkeitsarbeit sobald ausländische Regierungen oder Menschenrechtsgruppen Menschenrechtsverletzungen durch ägyptische Behörden kritisieren.
Der letzte Woche von HRW veröffentlichte Report spricht von „weit verbreiteter und systematischer Folter durch Sicherheitskräfte, die möglicherweise ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit darstellt.“ Vor allem der Nationale Sicherheitsdienst, Ägyptens gefürchteter dem Innenministerium unterstellte Inlandsgeheimdienst, wird beschuldigt, Verdächtige zu foltern, um sie zu Geständnissen oder zur Herausgabe von Informationen zu zwingen oder zu bestrafen. HRW führte für den Bericht Interviews mit 19 ehemaligen Gefangenen und der Familie eines Ex-Häftlings durch und stellte ein Video ins Internet, in dem offenbar regelmäßig eingesetzte Foltermethoden ägyptischer Beamter graphisch dargestellt werden.
Derlei Vorwürfe sind nicht neu. Seit Al-Sisis faktischer Machtübernahme im Juli 2013 grassiert die Polizeigewalt im Land, vor allem in Haftanstalten und Polizeistationen. Erst am Montag verwies der Menschenrechtskommissar der Vereinten Nationen (UN), Zeid Raad Al-Hussein, während einer Sitzung des UN-Menschenrechtsausschusses in Genf auf die seiner Behörde bekannten Berichte zu Folter in Haft, gewaltsamem Verschwinden, außergerichtlicher Tötungen und Militärtribunalen von Zivilisten. Der Ausnahmezustand werde zudem als Rechtfertigung dafür benutzt, die Zivilgesellschaft systematisch zum Schweigen zu bringen und den öffentlichen Raum zu schließen, so Al-Hussein in seiner Eröffnungsrede. Der von Al-Sisi im April nach den verheerenden Anschlägen auf zwei Kirchen verhängte landesweite Notstand war erst im Juli um drei weitere Monate verlängert worden.
Unterdessen intensiviert Ägyptens Regierung ihre Bemühungen regierungskritische Internetseiten im Land zu blockieren. Nach Angaben des unabhängigen ägyptischen Vereins für Meinungs- und Gedankenfreiheit (AFTE) seien seit Jahresbeginn mindestens 431 Internetseiten in Ägypten nicht mehr auf konventionellem Wege abrufbar. Mehr als die Hälfte davon seien sogenannte VPNs oder Proxys, also Internetseiten, die es Nutzern erlauben eine nationale Sperrung von Internetinhalten zu umgehen. Al-Sisis Regierung versucht also offenbar nicht nur regierungskritische Inhalte im Inland zu blockieren, sondern auch Werkzeuge zum Umgehen dieser Blockaden. Nur einen Tag nach der Veröffentlichung des jüngsten HRW-Berichtes zu Folter in Ägypten war auch die Internetseite von HRW im Land am Nil nicht mehr abrufbar und nur noch mit Umgehungswerkzeugen zu erreichen.
© Sofian Philip Naceur 2017