Flüchtlinge und Migranten geraten zunehmend ins Visier algerischer Behörden. Seit rund einer Woche werden aus mehreren Landesteilen willkürliche Verhaftungen von Ausländern afrikanischer Herkunft gemeldet, teils unter Gewaltanwendung und ohne Nennung von Gründen. Vor allem im Großraum Algier fanden gezielte Aktionen von Polizei und Gendarmerie statt. In sozialen Netzwerken berichten Betroffene, am Arbeitsplatz oder in Wohnungen verhaftet worden zu sein, ein Mann sei von Beamten aus einem Taxi gezerrt worden (erschienen in junge Welt am 10.10.2017).
Ein Buskonvoi mit bis zu 300 Verhafteten brach am Samstag von einer Polizeieskorte begleitet von einer Sammelstelle außerhalb Algiers in Richtung Tamanrasset rund 2000 Kilometer südlich der algerischen Hauptstadt auf, berichtet der französische Radiosender RFI. Unter ihnen befanden sich Menschen aus Mali, Kamerun, der Elfenbeinküste und Liberia. Ob, wann und wohin die Betroffenen abgeschoben werden sollen, ist weiterhin unklar.
Das Vorgehen entbehre jeglicher juristischer Grundlage und sei „diskriminierend und rassistisch“, zitiert RFI den Generalsekretär der unabhängigen algerischen Menschenrechtsliga, Abdelmoumen Khelil. Bereits im September hatte es in Algier Razzien gegen afrikanische Einwanderer gegeben, die auch damals nach kurzem Aufenthalt in der Sammelstelle Zéralda per Bus nach Tamanrasset in der Sahara gebracht wurden.
Unter den Verhafteten befänden sich auch beim UN-Flüchtlingshilfswerk registrierte Flüchtlinge, erklärten die autonome algerische Gewerkschaft SNAPAP und der Dachverband unabhängiger Arbeitnehmervertretungen im Land, CGATA, in einer gemeinsamen Stellungnahme. Algeriens Behörden verstoßen damit klar gegen internationales Recht, heißt es in dem Schreiben. Die Menschen sollen unabhängig von ihrer jeweiligen Nationalität nach Niger abgeschoben werden, so Fouad Hassam, Migrations- und Asylbeauftragte der SNAPAP.
Ob die Verhaftungswelle Anzeichen einer dauerhaften Verschärfung staatlicher Repression gegen Einwanderer im Land oder vielmehr als vorübergehende Reaktion auf die zuletzt angestiegenen Überfahrtsversuche nach Europa zu verstehen ist, bleibt fraglich. Nach Angaben der Internationalen Organisation für Migration, gelangten vom 1. Januar bis 17. September 10.461 Menschen auf der westlichen Mittelmeerroute nach Spanien, im Vorjahreszeitraum waren es noch 3.805 gewesen.
Eine deutliche Steigerung von Verhaftungen in Algerien ist derweil erst seit Kurzem zu beobachten. In den Monaten August und September wurden landesweit 799 bzw. 873 nicht-algerische Einwanderer verhaftet, rund doppelt so viele wie in den Monaten zuvor, erklärt Matthew Herbert, Forschungsstipendiat bei der Global Initiative Against Transnational Organized Crime. Diese wurden meist auf Transitstraßen und in Grenzregionen festgesetzt, die Zahlen beinhalten aber vermutlich nicht die jüngsten Verhaftungen in nordalgerischen Städten, so Herbert. Auch die Anzahl der am Strand oder auf See festgesetzter Algerier habe sich im September verdoppelt.
In Tunesien sind zuletzt ebenso verstärkt Menschen bei versuchten Überfahrten verhaftet worden. 747 der 1.370 Verhaftungen durch Tunesiens Behörden im laufenden Jahr seien allein im September erfolgt, so Herbert. Er glaubt, der jüngste Anstieg an Ausreiseversuchen in der Region sei vor allem auf die wachsenden wirtschaftlichen Probleme in Nordafrika zurückzuführen.
In Algerien verschärft sich unterdessen die populistische Stimmungsmache gegen Einwanderer. Schon im April hatte der seit August amtierende Premierminister Ahmed Ouyahia mit xenophoben Äußerungen für Wirbel gesorgt. Irreguläre Einwanderer brächten Kriminalität, Drogen und andere Plagen ins Land, sagte er damals kurz vor der Parlamentswahl. Das Transportministerium hatte im September Nah- und Regionalverkehrsbetriebe im Land aufgefordert, keine Einwanderer mehr mitzunehmen. Unter Ouyahia erlebt Algerien einen deutlichen Rechtsruck, Einwanderer müssen sich auf eine härtere Gangart der Behörden einstellen.
© Sofian Philip Naceur 2017