Algeriens Behörden haben ihre Ende September begonnene Verhaftungs- und Abschiebekampagne gegen afrikanische Flüchtlinge und Migranten offenbar gedrosselt – zumindest vorläufig. Über mehrere Wochen hinweg hatten algerische Polizei- und Gendarmerieeinheiten gezielt Menschen afrikanischer Herkunft an ihren Arbeitsplätzen, in Wohnungen und auf der Straße verhaften und in Sammellager bringen lassen, bevor sie in Buskonvois nach Tamanrasset 2000 Kilometer südlich der Hauptstadt Algier gebracht wurden (erschienen in junge Welt am 10.11.2017).
Der letzte bekannt gewordene Konvoi, bei dem 602 in der Region Tizi Ouzou lebende nigrische Staatsbürger nach Tamanrasset gebracht wurden, habe Ende Oktober stattgefunden, berichtet die algerische Zeitung El Watan. Von dort aus schiebt Algerien verhaftete Flüchtlinge und Migranten meist ins Nachbarland Niger, in einigen Fällen auch nach Mali, ab.
Grundlage für die Massenausweisungen ist ein 2014 unterzeichnetes Rücknahmeabkommen zwischen Algerien und Niger, das auch die Abschiebungen von Menschen anderer Nationalitäten regelt. Die nigrische Regierung reagiert derweil zunehmend ungehalten über den willkürlichen Umgang Algeriens mit nigrischen Bürgern. Nigers Außenminister Ibrahim Yacoubou erklärte letzte Woche, Algerien habe seit 2013 über 20000 nigrische Bürger abgeschoben.
Heftig kritisiert wurde Algeriens Vorgehen von Menschenrechtsgruppen wie EuroMed Rights und mehreren unabhängigen algerischen Gewerkschaften, aber auch Amnesty International und der US-Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW). „Es kann keine Rechtfertigung dafür geben, Hunderte Menschen auf Grundlage ihrer Hautfarbe oder ihres vermuteten Herkunftslandes zu verhaften und gewaltsam zu deportieren“, erklärte Amnestys Nordafrika-Direktorin Heba Morayef in einer Stellungnahme. Die Kampagne sei „ein eklatanter Fall von massenhaftem Racial Profiling“, so Morayef.
Während Amnesty seit dem 22. September über 2000 Abschiebungen gezählt hat, berichtet HRW mit Verweis auf das Büro der britischen Hilfsorganisation International Rescue Committee im nigrischen Agadez von 3232 Menschen, die seit Ende August von Algerien aus nach Niger und Mali abgeschoben wurden. Zwar seien 15 beim UN-Flüchtlingshilfswerk (UNHCR) registrierte Flüchtlinge und Asylbewerber auf Druck des UNHCR rechtzeitig vor der Abschiebung aus der Haft entlassen worden, doch die jüngste Verhaftungs- und Ausweisungskampagne wirft ein Schlaglicht auf die zunehmend rassistischen Diskurse in der algerischen Öffentlichkeit.
Algeriens Premierminister Ahmed Ouyahia hatte im Juli irreguläre Einwanderer mit „Kriminalität, Drogen und anderen Plagen“ gleichgesetzt, Außenminister Abdelkader Messahel bezeichnete sie gar als „Bedrohung der nationalen Sicherheit“. Damit schüren algerische Politiker offenbar gezielt die stark zugenommene xenophobe Stimmung gegen afrikanische Einwanderer im Land.
Schon im Frühling hatte die Internetkampagne „Nein zu afrikanischen Einwanderern in Algerien“ für Furore gesorgt. Immer offener wird im Land ein Zusammenhang zwischen der hohen strukturell bedingten Arbeitslosigkeit und afrikanischer Einwanderung konstruiert. Dabei war es die Regierung selbst, die sich in den letzten 15 Jahren unfähig zeigte trotz massiver Einnahmesteigerungen aus dem Verkauf von Erdöl und -gas die Wirtschaft zu diversifizieren, eine Industrie aufzubauen, den Agrarsektor zu reformieren und damit Arbeitsplätze im Land zu schaffen und die Bevölkerung aus der Abhängigkeit von Lebensmittelsubventionen zu führen.
Ouyahia, der sich bereits auf die anstehende Präsidentschaftswahl 2019 vorbereitet und unpopuläre Maßnahmen vermeiden will, setzt derweil weiterhin auf Ablenkungsmanöver und ein Aussitzen der Wirtschaftskrise. Derweil fliehen immer mehr Algerier vor der angespannten Wirtschaftslage und verlassen das Land auf dem Seeweg in Richtung Spanien. Fast 4000 algerische Staatsbürger wurden seit Jahresbeginn bei dem Versuch gefasst, irregulär das Land zu verlassen – ein neuer Höchstwert.
© Sofian Philip Naceur 2017