Kaum ein Staat in Nord- und Ostafrika ist derart abhängig vom Nil wie Ägypten. Das weitgehend aus unfruchtbarer Wüste bestehende Land bezieht mehr als 90 Prozent seines Wasserverbrauchs aus dem längsten Fluss Afrikas. Rund 95 Prozent der mehr als 95 Millionen Einwohner Ägyptens leben dicht gedrängt an seinen Ufern. Die Wasserknappheit ist bereits heute ein nicht zu unterschätzendes Problem. Doch ungebremstes Bevölkerungswachstum und die Verschmutzung der unersetzbaren Lebensader sind derzeit nicht die dringendsten Sorgen der ägyptischen Regierung. Denn der Bau eines Staudamms im Norden Äthiopiens droht Ägyptens Wasserversorgung massiv einzuschränken (erschienen in junge Welt am 10.2.2018).
Der Konflikt um das Megaprojekt ist nicht neu, angesichts der für 2019 geplanten Fertigstellung des Great Ethiopian Renaissance Damms (GERD) jedoch akuter denn je. Mit einer Länge von fast 1,8 Kilometern und einer Höhe von 155 Metern wird die rund 3,4 Milliarden Euro teure Talsperre der größte Staudamm Afrikas sein.
Während Äthiopien mit dem Projekt seine Stromproduktion um 270 Prozent steigern und damit die wirtschaftliche Entwicklung des Landes vorantreiben will, ist vor allem Ägypten um seinen Zugang zu Trinkwasser besorgt. Denn der vor der Talsperre liegende Stausee soll 74 Milliarden Kubikmeter Wasser fassen. Zum Vergleich: Pro Jahr fließen im Schnitt rund 84 Milliarden Kubikmeter den Nil hinunter. Auf Grundlage eines in den südlichen Nilanrainerstaaten umstrittenen Abkommens von 1959 stehen Ägypten davon 55,5 und Sudan 18,5 Milliarden Kubikmeter zu. Äthiopiens Regierung versicherte zwar wiederholt, sie werde kein Wasser für landwirtschaftliche Bewässerung abzweigen und damit Sudan und Ägypten sprichwörtlich das Wasser abgraben. Doch der Stausee muss gefüllt werden und bis heute ist unklar, wie lange dieser Prozess andauern wird.
Äthiopien drängt auf eine schnelle Füllung und brachte eine Zeitspanne von drei Jahren ins Spiel. Ägypten wiederum setzt auf ein behutsames Aufstauen, um die jährlichen Wasserverluste für das Land so gering wie möglich zu halten. Doch konkrete Zahlenspiele seien verfrüht und hypothetisch, erklärt der Sprecher des bei den Verhandlungen mit Äthiopien und Sudan federführenden ägyptischen Außenministeriums, Ahmed Abu Zeid, gegenüber jW. Die technischen Studien zu den wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Folgen des Projektes, auf deren Grundlage unterschiedliche Szenarien für die Füllung des Stausees ausgearbeitet werden sollen, seien noch nicht abgeschlossen, da sich die drei Länder über die Methodik der Studien uneins sind.
Doch die Zeit drängt. Entsprechend setzen die Regierungen aller drei Staaten bereits seit 2015 auf intensivierte diplomatische Bemühungen, eine für alle Seiten akzeptable Lösung zu finden. Trotz des bisher ausbleibenden Durchbruchs bei den Gesprächen zeigt sich Abu Zeid optimistisch. Seine Regierung glaube an „vertrauensbildende Maßnahmen“ und „kooperative Beziehungen“ zu Sudan und Äthiopien. Vorschläge wie der Bau grenzüberschreitender Verkehrsverbindungen oder einer die drei Staaten verbindenden Stromtrasse flankieren dabei die Verhandlungen über den GERD. Derlei Initiativen könnten die drei Volkswirtschaften auch wirtschafts- und handelspolitisch aneinander binden, eine Win-win-Situation schaffen und damit die regionale Kooperation stärken, so Abu Zeid.
Während alle drei Staaten öffentlichkeitswirksam auf eine friedliche und diplomatische Beilegung offener Streitpunkte setzen, wird im Hintergrund durchaus mit den Muskeln gespielt. Die Gerüchte über die Präsenz ägyptischer Soldaten auf einer von den Vereinigten Arabischen Emiraten genutzten Militärbasis in Eritrea halten sich beharrlich und dürften weder Sudan noch Äthiopien gefallen. Abu Zeid dementiert zwar, doch angesichts der angespannten türkisch-ägyptischen Beziehungen und der von Kairo misstrauisch beäugten Übergabe der zu Sudan gehörenden Insel Suakin an die Türkei, die dessen Hafen auch militärisch nutzen will, wäre eine solche Truppenverlegung keine Überraschung.
© Sofian Philip Naceur 2018