Es waren ungewohnte Szenen in einem Kairoer Fußballstadion am Samstag. Denn erstmals seit Jahren hatten die Behörden wieder Zuschauer bei einem Spiel der ägyptischen Premiere League zugelassen. Etwa 3000 Fans feuerten auf den Rängen des Petrosports-Stadions im noblen Kairoer Vorort New Cairo ihre Mannschaften an und feierten ausgelassen ihre Rückkehr auf die Tribünen. Rund um den von Einsatzkräften der Polizei abgeriegelten Spielort blieb es ruhig, die in Ägypten bei Fußballspielen nicht unüblichen Reibereien zwischen Hundertschaften und den Ultra-Verbänden blieben aus (erschienen in junge Welt am 4.9.2018).
Das Ergebnis der Partie – der Kairoer Spitzenclub Zamalek SC gewann gegen die zum gleichnamigen Erdölkonzern gehörende Mannschaft von ENPPI hochverdient mit 4-1 – geriet dabei fast zur Nebensache. Denn erst im August hatten sich die Regierung, der ägyptische Fußballverband EFA und die Clubs darauf geeinigt, bei Ligaspielen vorerst bis zu 5000 Fans in die Stadien zu lassen und damit das bereits 2012 erlassene und 2015 nur kurzweilig aufgehobene strikte Zuschauerverbot bei Ligaspielen zu lockern.
Seit dem Massaker von Port Said im Februar 2012, bei dem 72 Fans von Ägyptens Rekordmeisters Al-Ahly getötet wurden nachdem teils bewaffnete Anhänger des gegnerischen Teams Al-Masry den Gästeblock attackiert hatten, wurden Ligaspiele vor Geisterkulissen ausgetragen. Das Massaker gilt als Zäsur im ägyptischen Fußball. Den Sicherheitskräften wird vorgeworfen absichtlich nicht eingegriffen und die Tore des Gästeblocks nicht geöffnet zu haben, um sich damit an den Ultras Ahlawi (UA07) – der größten Ultra-Gruppierung im Land – für deren aktive und tragende Rolle während des Massenaufstandes gegen das Regime von Ägyptens Expräsident Hosni Mubarak im Januar 2011 zu rächen.
Die Ultra-Verbände der beiden großen Kairoer Clubs – Al-Ahlys UA07 und Zamaleks Ultras White Knights (UWK) – gelten spätestens seither als einzige im Land existierende organisierte Netzwerke, die es vermochten sich den prügelnden Einsatzkräften der Polizei wirksam in den Weg zu stellen. Vor allem die UA07 hatten bei Fußballspiele zudem immer wieder mittels beeindruckender Choreographien auf den Rängen explizite Kritik an Regierung und Sicherheitsapparat geübt und und sind dem Regime allein deshalb schon lange ein Dorn im Auge.
Seither wurden hunderte Ultras verhaftet, strafrechtlich verfolgt und rechtskräftig verurteilt – oft auf Grundlage haarsträubender Vorwürfe. Zamaleks Vereinspräsident Mortada Mansour – ein strammer Regimeadvokat und entschiedener Gegenspieler der organisierten Fangruppen – hatte gar mehrfach versucht, die Ultras als Terrororganisationen einstufen zu lassen – allerdings erfolglos.
Die Gründe für die jüngste Lockerung des Zuschauerverbots sind derweil vielfältig. Die Versuche, Fußballspiele von privaten Sicherheitsfirmen betreuen zu lassen, seien zwar im Sand verlaufen, doch die aktuelle Situation sei für die Vereine auch finanziell nicht mehr tragbar gewesen, meint der Sportjournalist und Co-Direktor des Instituts für Fankultur der Universität Würzburg, James Dorsey, gegenüber jW. Ausbleibende Ticketeinnahmen hätten die Vereine unter Druck gesetzt. Die WM 2022 in Katar rücke die Region zudem ins Rampenlicht, Vereine und Länder wollen daher gut auftreten und das ist ohne die Unterstützung der Fans schwierig, meint er.
Derweil hatten die UA07 im April angekündigt, ihre Aktivitäten bis auf weiteres einzufrieren. Die UWK hatten kurz darauf gar ihre offizielle Auflösung bekanntgegeben. Das Regime ist damit ihrem Ziel, die Fankultur im Land zu entpolitisieren, ein Stück näher bekommen. Doch es bleibt unklar, ob sich die Ultras wirklich aufgelöst haben. “In sozialen Netzwerken sind sie weiterhin sehr aktiv“, erzählt Dorsey. „Dieses sehr kontrollierte Zulassen einer sehr begrenzten Anzahl an Fans in den Stadien lässt vermuten, dass die Regierung die Ultras immer noch ernst nimmt. Wie ernst sie sie wirklich nehmen sollte, wird sich zeigen, wenn die Stadien wieder geöffnet werden“, so Dorsey.
© Sofian Philip Naceur 2018