Keine Einigung in Sicht

Eigentlich sollte der Vorwahlkampf in Algerien bereits auf Hochtouren laufen. In nur vier Monaten, im April 2019, sollen schließlich Präsidentschaftswahlen stattfinden. Doch stattdessen rumort es weiterhin gewaltig in Algeriens fragmentiertem Machtgefüge. Eine zügige Einigung zwischen den verschiedenen in den Machtapparat eingebundenen Parteien über ein einvernehmliches Vorgehen bei der Abstimmung rückt zunehmend in weite Ferne. Denn inzwischen wird ernsthaft darüber diskutiert, den Wahlgang zu verschieben, um für die stockende Konsensfindung Zeit zu gewinnen (erschienen in junge Welt am 15.12.2018).

Galt eine erneute Kandidatur des seit 1999 amtierenden Präsidenten Abdelaziz Bouteflika bis vor Kurzem noch weitgehend als ausgemacht, hat sich der Wind innerhalb des Regimes und selbst in Bouteflikas eigener Partei, der Nationalen Befreiungsfront (FLN), inzwischen partiell gedreht. Eine Lösung ohne den seit einem Schlaganfall 2013 gesundheitlich angeschlagenen und im Rollstuhl sitzenden Staatschef wird nicht mehr ausgeschlossen.

Erst im November war der stärkste Fürsprecher einer abermaligen Kandidatur Bouteflikas, Djamel Ould Abbès, unter dubiosen Umständen vom Posten des FLN-Generalsekretärs zurückgetreten. Nur Tage später hatte der im Oktober in grotesker Manier zum neuen Parlamentssprecher ernannte FLN-Politiker, Mouad Bouchareb, die Auflösung sämtlicher Parteiinstanzen verkündet und war von Bouteflika als Koordinator einer provisorischen Übergangsführung der FLN eingesetzt worden.

Obwohl zahlreiche führende Politiker im Land wie Bouchareb öffentlich weiterhin auf Bouteflikas Kandidatur setzen, wird eifrig an einem Plan B bearbeitet. Mehrere Verbalvorstöße aus den Reihen der Präsidialkoalition bestehend aus der FLN und dessen Koalitionspartnern RND, MDA und TAJ und der regimenahen Opposition deuten auf tiefe Unstimmigkeiten innerhalb des Regimes bezüglich einer erneuten Kandidatur Bouteflikas hin, die in Algeriens Gesellschaft auf immer stärkere Ablehnung stößt.

Der Chef der gemäßigt islamistischen früheren Regierungspartei MSP, Abderrezak Makri, wirbt bereits seit Wochen für „tiefgreifende politische Reformen auch ohne Bouteflika“ und einen „nationalen Konsens unter Einschluss der Opposition“. Die MSP will zurück in die Regierung. Doch die TAJ – eine Abspaltung der MSP – unter Führung des ehemaligen Transportministers Amar Ghoul konterte und fordert seither das Abhalten einer nationalen Konferenz, um unter Einbezug nicht näher genannter politischer Kräfte einen Konsens in Sachen Präsidentschaftswahl zu erzielen.

Während die größeren Regimeparteien weiterhin auf undurchsichtige Weise verhandeln und ein Verschieben der Wahlen vorbereiten oder zumindest ernsthaft in Betracht ziehen, bieten sich immer mehr Oppositionsparteien dem Regime als demokratischer Deckmantel an. Erst am Mittwoch verkündeten vier Kleinstparteien die Formierung einer Allianz mit dem Ziel, Bouteflika und dessen politisches Projekt zu unterstützen.

Derweil rumort es weiterhin in Algeriens Zivilgesellschaft und der Gewerkschaftsszene. Anlässlich des 70. Jahrestages der Verkündung der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte hatten mehrere Menschenrechtsgruppen am Montag auf Demonstrationen in Algier und Béjaia die Beschränkungen von Freiheitsrechten und die jüngsten Verhaftungen von Bloggern und Journalisten kritisiert und deren Freilassung gefordert. In beiden Städten wurden Protestler vorübergehend verhaftet. Während der unabhängige Gewerkschaftsverband CSA in einer Erklärung die Restriktionen für Arbeitnehmerverbände kritisierte und vor der zunehmenden sozialen Schieflage warnte, gehen die Proteste in Béjaia gegen die offenbar politisch motivierte Blockade von Algeriens größtem Industriekonzern Cevital durch die Behörden in eine neue Runde. Am Mittwoch versammelten sich mehrere zehntausend Protestler in der Stadt und forderten die Freigabe der im Hafen von Béjaia blockierten Lieferungen für mehrere Cevital-Fabriken.

© Sofian Philip Naceur 2018

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