Die Proteste gegen das umstrittene im November 2013 in Kraft getretene Demonstrations- gesetz in Ägypten weiten sich erneut massiv aus. Da Ägyptens Innenministerium weiterhin konsequent auf jedwede Form der öffentlichen Demonstration mit Repression reagiert, setzt auch die säkulare Opposition am Nil inzwischen auf Hungerstreiks als Protestform. Anhänger der Muslimbruderschaft protestieren bereits seit Mitte 2013 immer wieder mit diesem Mittel gegen ihre Internierung. Nachdem inhaftierte säkulare Aktivisten um den bekannten Blogger Alaa Abdel Fattah bereits Mitte August aus Protest gegen ihre Haftbedingungen und die zweifelhafte Prozessführung in einen Hungerstreik getreten sind, schlossen sich am Samstagzahlreiche Menschen aus Solidarität mit den Inhaftierten der Hungerstreikkampagne an. Innerhalb der Gefängnisse sind mittlerweile etwa 60 Personen im Hungerstreik, inklusive einiger Anhänger der Muslimbruderschaft. Rund 90 weitere Personen aus dem linksliberalen Lager streiken in Solidarität außerhalb der Haftanstalten (erschienen in Junge Welt am 15.9.2014).
Am Wochenende versammelten sich dutzende Unterstützer der Aktivisten vor dem Menschenrechtsrat im Stadtzentrum von Kairo und zogen am Samstag zu den Hauptsitzen mehrerer liberaler und linker Parteien, die die Kampagne unterstützen und ihre Türen für die Streikaktion geöffnet haben. Neben der linksliberalen Verfassungspartei schlossen sich die Sozialdemokratische Partei Ägyptens, die Sozialistische Volksallianz und die sich noch in der Gründungsphase befindende linke Partei für Brot und Freiheit der Kampagne an. Zu den Forderungen der Kampagne gehört die Neufassung oder gar Abschaffung des umstrittenen Protestgesetzes sowie die sofortige Freilassung der auf Grundlage des kontroversen Regelwerks inhaftierter Aktivisten. Einer gestrigen Demonstration von rund 200 Menschen vor dem Sitz des Journalistensyndikats in Kairo begegnete das Innenministerium derweil mit der Stationierung von Polizeieinheiten vor dem Syndikatsgebäude.
Das Gesetz erlaubt dem Staat auf Grundlage sehr vage formulierter Kriterien Demonstrationen zu verbieten und wird von Oppositionellen und Menschenrechtsorganisationen als Instrument betrachtet jedwede Form des unerwünschten Protestes zu kriminalisieren. Die Strafen bei Zuwiderhandlungen sind drakonisch. Das Gesetz verstoße gegen internationale Standards und ziele darauf ab die Opposition mundtot zu machen.
Gemeinsam mit 24 anderen war Abdel Fattah im November 2013 kurz nach Verabschiedung des Gesetzes bei einer Demonstration im Stadtzentrum Kairos wegen angeblicher Verstöße gegen das Gesetz angeklagt worden. In Abwesenheit verurteilte ein Kairoer Gericht die Angeklagten zu 15 Jahren Haft, einer Strafe von 10000 Euro und einer fünfjährigen Sonderüberwachung. Abdel Fattah und die Aktivisten Hamada Al-Nubi und Wael Metwalli wurden unmittelbar nach der Urteilsverkündung vor dem Gerichtsgebäude verhaftet, wo sie sich einer Demonstration gegen das kontroverse Gesetz angeschlossen hatten. Während das Gericht Abdel Fattah, Al-Nubi und Metwalli die Freilassung auf Kaution verweigert, befinden sich die anderen 22 Angeklagten auf freiem Fuß. Das derzeit laufende Berufungsverfahren wurde am Donnerstag erneut vertagt. Auch das Berufungsverfahren gegen Abdel Fattahs 19jährige Schwester Sana Seif und 20 weitere Angeklagte wurde vertagt. Seif wurde im Juni bei einer Protestkundgebung vor dem Präsidentenpalast im Osten Kairos verhaftet. Auch ihr wird vorgeworfen an einer nicht genehmigten Demonstration teilgenommen zu haben.
Vor allem der kompromisslose Umgang des Staates mit Abdel Fattah wirkte als Katalysator für die derzeitige Verschärfung der Proteste gegen das Gesetz, meint der Sprecher der Verfassungspartei Khaled Dawoud. Der vom Staatspräsidenten ernannte Nationale Menschenrechtsrat kündigte zwar an zügig eine Neufassung des Gesetzes anstoßen zu wollen, doch Dawoud bezweifelt die Ernsthaftigkeit der Ankündigung. Nach Dawouds Angaben sitzen derzeit elf Mitglieder seiner Partei wegen Verstößen gegen das Gesetz hinter Gittern.
© Sofian Philip Naceur 2014