Europas Migrationspolitik im Mittelmeerraum ist und bleibt ein Etikettenschwindel, setzt sie doch fast ausschließlich auf langfristig ineffektive Maßnahmen zur Verhinderung der „irregulären Migration“. Das wird sich auch künftig nicht ändern. Denn die EU und mehrere EU-Staaten kündigten nun an, ihre Kooperation mit „Herkunfts- und Transitstaaten“ in Nordafrika im Bereich der Schleusungsbekämpfung noch weiter intensivieren zu wollen (erschienen in junge Welt am 27.10.2020).
Nach einem Vorstoß Italiens lancierten sechs europäische Regierungen und die EU-Kommission mit fünf Ländern Nordafrikas die sogenannte „operative Mittelmeer-Initiative“ (OMI), in dessen Rahmen Maßnahmen zur Schleusungsbekämpfung zukünftig weiter ausgebaut werden sollen. Das geht aus einer Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage des Bundestagsabgeordneten der Linkspartei, Andrej Hunko, hervor (Drucksache 19/23250).
Angestoßen wurde die OMI bereits im Juli während einer Videokonferenz zum Thema „Verhütung und Bekämpfung der Schleusung von Migranten und zu Flüchtlingen in Nordafrika“. Daran teilgenommen hatten die Innenminister Deutschlands, Italiens, Spaniens, Frankreichs und Maltas und hochrangige Regierungsvertreter der „Partnerländer“ Algerien, Libyen, Marokko, Mauretanien und Tunesien.
Die Konferenz stelle „den Auftakt für die Entwicklung einer langfristig und breit angelegten Kooperation der EU und den fünf nordafrikanischen Teilnehmerstaaten im Migrationsbereich dar“, so die Bundesregierung in ihrem Antwortschreiben. Der Prozess unter Federführung der EU-Kommission befinde sich noch in den Anfängen. „Bislang wurden insbesondere Informationsarbeit geleistet, Gesprächskanäle und Strukturen aufgesetzt sowie der Status quo bereits bestehender bzw. vorgesehener Projekte mit Bezug zum Grenzmanagement und der Schleusungsbekämpfung in den nordafrikanischen Partnerstaaten erhoben“, heißt es.
Ziel der OMI sei die Entwicklung eines „maßgeschneiderten, langfristig angelegten Ansatzes“ für jedes der fünf Partnerländer. Die EU-Polizeibehörde Europol und die Grenzschutzagentur Frontex haben bereits ihre Unterstützung zugesagt. In einem ersten Schritt solle sich die Initiative auf die Bereiche Grenzmanagement und Schleusungsbekämpfung konzentrieren.
Genau diese Politikfelder sind dabei bereits seit Jahren die absolute Priorität der EU in Sachen EU-Grenzauslagerung. Die Kooperation mit Nordafrika umfasst dabei vor allem sicherheitspolitische Ausbildungs- und Ausrüstungshilfen für die „Partnerstaaten“ – und die ist alles andere als unproblematisch. In Libyen ist sie gleichbedeutend mit Aufbauhilfen für die sogenannte Libysche Küstenwache, die immer wieder mit systematischen Menschenrechtsverstößen gegen Geflüchtete für Aufsehen sorgt. Auch in Algerien ist jede Unterstützung für die Innenbehörden hochgradig brisant. Denn das Regime in Algier tritt nicht nur die Rechte Geflüchteter mit Füßen, sondern ging zuletzt auch immer repressiver gegen Opposition und Regierungskritiker vor.
Der Ausbau von Anti-Schleusungsmaßnahmen greift jedoch zu kurz und geht an den eigentlichen Wurzeln des Phänomens der irregulären Migration vorbei. Denn an globalen Ungleichheiten und der wirtschaftlichen Ausbeutung der jetzt erneut aufzurüstenden Partnerländer ändert eine verstärkte Sicherheitskooperation praktisch nichts. Hunko kritisiert deshalb die Aufrüstung der Migrationsabwehr in Nordafrika gegenüber jW scharf und fordert das Bundesinnenministerium dazu auf, sich aus seinen umfangreichen Projekten vor Ort zurückzuziehen. „Die EU muss zu einer Nachbarschaftspolitik gegenüber den nordafrikanischen Staaten finden, die auf Solidarität und der Beseitigung von Ungleichheit basiert“, so der Abgeordnete.
© Sofian Philip Naceur 2020