Rund eine Woche nach Ende der Präsidentschaftswahl in Ägypten hat das Präsidiale Wahlkomitee offizielle Endergebnisse vorgelegt. Demnach gewann der bereits im Vorfeld des Urnengangs als sichere Wahlsieger geltende Ex-Armeechef Abdel Fattah el-Sisi das Rennen um Ägyptens höchstes Staatsamt mit 96,9 Prozent. Sein einziger Gegenkandidat, der sozialistische Linkspolitiker Hamdeen Sabahi, landete mit nur 3,1 Prozent abgeschlagen auf Platz Zwei. Elf Monate nach dem Sturz des islamistischen Ex-Präsidenten Mohamed Mursi ist die vom Militär dominierte politische Ordnung am Nil damit faktisch vollständig restauriert.Sabahi hatte beim Wahlkomitee Beschwerde gegen die vorläufigen Zahlen zur Wahlbeteiligung eingelegt und sich über die gesetzlich verbotene Wahlwerbung zugunsten el-Sisis in zahlreichen Wahllokalen, die Verhaftungen seiner Anhänger während des Urnengangs und die heftig umstrittene Verlängerung der Wahl um einen weiteren Tag beklagt. Das Komitee lehnte jedoch alle Beschwerden ab. Die Wahlbeteiligung lag nach offiziellen Angaben bei 47,5 Prozent. Die Zahl dürfte stark gefälscht worden sein. Lediglich am Morgen des ersten Wahltages bildeten sich Schlangen vor Wahllokalen, die Beteiligung nahm bereits im Laufe des ersten Tages stark ab. Alternative Angaben zur Wahlbeteiligung bewegen sich zwischen 7,5 und 28 Prozent (erschienen in Junge Welt vom 5.6.2014).
Die Wahlbeobachtermission der Europäischen Union (EU EOM) bescheinigte dem Urnengang derweil „im Rahmen der Gesetz ausgeführt worden“ zu sein, auch wenn die EOM die Verlängerung der Wahl kritisierte. Kritik an der offensichtlich manipulierten Zahl zur Wahlbeteiligung und eine adäquate Thematisierung der fragwürdigen Immunisierung sämtlicher Entscheidungen des Wahlkomitees durch ein Präsidialdekret von Interimspräsident Adli Mansour suchte man in Stellungsnahmen der EOM vergeblich. Letztlich hat die EU el-Sisis Wahl die von Ägyptens Interimsregierung und dem Militär gewünschte Legitimität zugesprochen. Im Gegensatz dazu bezeichnete die US-Menschenrechtsorganisation Democracy International das politische Umfeld der Wahl als „repressiv“ und kritisierte neben der fragwürdigen Verlängerung der Abstimmung das umstrittene Protestgesetz sowie die parteiische und einseitige Medienberichterstattung zugunsten el-Sisis.
Im Vorfeld hatte die EOM erklärt sich nicht in den Wahlprozess einmischen und weder den Wahlgang noch die Resultate legitimieren zu wollen. Eine erste Stellungsnahme der EU EOM nach der Abstimmung weist jedoch daraufhin, dass es der EU durchaus darum ging el-Sisis Wahl eine gewisse Legitimität zu verleihen, schließlich ignorierte die EOM Unregelmäßigkeiten während der Wahl ebenso wie strittige Entscheidungen des Wahlkomitees. Die EU hat bereits in der Vergangenheit internationale Beobachtermissionen genutzt, um umstrittenen Urnengängen einen legitimen Anstrich zu geben. Im Falle Ägyptens hat die EU Interesse daran das Land möglichst schnell zu stabilisieren. Mit der Wahl des Militärkandidaten el-Sisi sind Ägyptens Streitkräfte auch institutionell wieder auf die politische Bühne am Nil zurückgekehrt, doch bleibt fraglich, ob el-Sisi fähig ist das Land langfristig zu befrieden. Ägyptens wirtschaftliche und soziale Probleme wird er mit seiner nationalistischen Rhetorik und der Dämonisierung der Muslimbrüder allein nicht lösen können.
El-Sisis Wahl zum neuen Präsidenten hat die Uhren am Nil zurückgedreht. Mit ihm verfügt die Armee nach dem Sturz Hosni Mubaraks 2011 erstmals wieder über einen demokratisch legitimierten Vertreter im Amt des Staatschef. Ansätze der Demokratisierung von Ägyptens politischer Sphäre sind mit der ernüchternden Wahl el-Sisis zum Präsidenten zunächst ausgebremst. Kurzfristig wird sich das Land stabilisieren. Dennoch ist eine weitere Eruption der sozial, politisch und wirtschaftlich angespannten Gemengelage in Ägypten nur eine Frage der Zeit ist. El-Sisis Griff nach der Macht vollzog sich im Kontext nationalistischer Propaganda und der Dämonisierung der vorerst politisch kalt gestellten Bruderschaft, doch wird sich el-Sisi daran messen lassen müssen, ob er die sozialen und wirtschaftlichen Probleme des Landes in den Griff bekommt, einer Aufgabe, der er vor dem Hintergrund seiner inexistenten politischen Vision schlicht nicht gewachsen ist.
© Sofian Philip Naceur 2014