Wenige Tage nach den Präsidentschaftswahlen in Algerien bleibt die Situation in der östlich der Hauptstadt Algier gelegenen mehrheitlich von Berbern der Kabylen-Minderheit bewohnten Provinz Kabylei angespannt. Schon vor und während des Urnengangs hatte es in der Region heftige Zusammenstöße zwischen der Polizei und Demonstranten gegeben. Mehrere Organisationen wie die Partei Sammlung für Kultur und Demokratie (RCD) und die Bewegung für die Autonomie der Kabylie (MAK) hatten für den 20. April zu Demonstrationen zum Gedenken des Berberaufstandes von 1980 und der blutigen Krawalle von 2001 aufgerufen. In Tizi Ouzu, Béjaïaund Bouira gingen Tausende auf die Straßen und gedachten der 126 Opfer des so genannten „Berber-Frühlings“. Seit Algeriens Unabhängigkeit 1962 kämpfen zahlreiche in der Kabylei verankerte Organisationen für mehr kulturelle und politische Freiheiten für die berberische Minderheit. Insbesondere die Anerkennung der Berber-Sprache Amazigh gehört zu den zentralen Forderungen bei den immer wieder aufflammenden Protesten in der Region. Die Regierung hatte nach den heftigen Krawallen von 2001 eingelenkt und Amazigh als Nationalsprache anerkannt, nicht jedoch als offizielle Amtssprache in die Verfassung mitaufgenommen (erschienen in Junge Welt am 28.4.2014).
Die Demonstration von rund 2000 Menschen in Bouira verlief weitgehend ruhig. In Tizi Ouzu, der größten Stadt der Kabylei, demonstrierten mindestens 5000 Menschen für die Anerkennung Amazighs als offizielle Amtssprache. Das Nachrichtenportal „Kabyle“ spricht gar von 10000 Menschen auf den Straßen Tizi Ouzus. Die jüngsten Proteste in der Region richteten sich auch gegen die umstrittene Wiederwahl von Algeriens Staatspräsident Abdelaziz Bouteflika, der die Präsidentschaftswahl vom 17. April deutlich gewonnen hatte.
Nach dem Zentralbehörden in Algier den angekündigten Protestmarsch in Tizi Ouzu verboten hatte, brachen nahe der Universität gewaltsame Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten und der Polizei aus. Das brutale Vorgehen der Sicherheitskräfte gegen Demonstrationen sorgt immer wieder für Zündstoff in dem nordafrikanischen Land. Auf Videoaufnahmen vom 20. April sieht man Polizeibeamte mit Schlagstöcken auf unbewaffnete Demonstranten einprügeln. Sicherheitskräfte setzten Tränengas gegen Demonstranten ein und verhafteten dutzende Protestler. Gemeinsam mit uniformierten Polizisten prügeln auch Männer in zivil, offenbar Beamte algerischer Geheimdienste, auf festgenommene Demonstranten ein. Ein Video eines nur mit Jeans bekleideten jungen Mannes, der reglos am Boden liegt und von mehreren Polizisten getreten und von den Beamten weggeschleift wird, hat derweil in Algerien einen Aufschrei der Entrüstung ausgelöst.
Der Chef der Generaldirektion für Nationale Sicherheit (DGSN) Abdelghani Hamel ordnete eine „dringende Untersuchung“ und die Suspendierung von fünf Polizisten an, die angeblich für den Vorfall verantwortlich sein sollen, nachdem sich mehrere Videos über die Vorfälle im Internet und in sozialen Netzwerken rasend schnell verbreitet hatten. Hamel betonte gegenüber Algeriens Tageszeitung El Watan die Provinzverwaltung habe mit dem Verbot der Kundgebung nicht zu tun und machte die Zentralregierung verantwortlich für die Eskalation der Lage. Während Algeriens Staatspresse gestreut hatte, die Aufnahmen seien eine Montage und seien bereits 2001 aufgenommen, bestätigt die Pariser Monatszeitung Jeune Afrique die Bilder seien authentisch und am 20. April aufgenommen. Innenminister Tayeb Belaiz betonte am Mittwoch, sollten Sicherheitskräfte ihre Kompetenzen überschritten haben, seien dies „außergewöhnliche und isolierte Akte“.
>Derweil formiert sich weiterhin Widerstand gegen Bouteflikas umstrittene Wiederwahl. Mehrere Parteien der Opposition hatten direkt nach den Wahlen angekündigt die Ergebnisse nicht anerkennen zu wollen und ein parteiübergreifend agierendes Koordinationskomitee formieren zu wollen. Sowohl die säkulare RCD als auch Parteien aus dem islamistischen Lager wie die Bewegung für die Gesellschaft und den Frieden (MSP) sind Teil der oppositionellen Front. Noch ist der Widerstand gegen Bouteflika fragmentiert, doch Ereignisse wie jüngst in Tizi Ouzu, bescheren der Opposition weiteren Zulauf und fördern ihre Einigungstendenzen.
© Sofian Philip Naceur 2014